Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
Vom Netzwerk:
wurden laut, die sich dem Pontiac näherten. Es waren nicht die Schritte eines Läufers, eher die eines aufrecht gehenden Zweibeiners.
    Ich duckte mich, versuchte, unter dem Wagen hindurchzuspähen. Die Schmerzen explodierten, und trotz aller Beherrschung brachen sie sich schließlich als unterdrücktes Stöhnen Bahn. Ich sank kraftlos zu Boden, ohne einen Blick auf das sich nähernde Etwas zu erhaschen, und blieb schwer atmend liegen. Was auch immer um den Wagen schlich, es würde leichtes Spiel mit mir haben. Ein präziser Schuß, ein gezielter Schlag …
    »Arr!« sagte eine Stimme über mir und ließ mich zusammenzucken. Wie ein Mensch hatte das nicht geklungen, eher wie ein Rabe. Vielleicht saß der Vogel auf der Schulter des Ankömmlings …
    Ein Paar abgetretener schwarzer Halbschuhe tauchte vor meinem Gesicht auf. Schnürschuhe, erkannte ich, markenlos. Über sie fiel der Saum einer grauen Wollhose. Ich hob meinen Blick. Es war ein Mann, vielleicht Anfang Sechzig, schmächtig, kahlköpfig, ohne Augenbrauen. Er hatte keinen Raben auf der Schulter sitzen, dafür einen schwarzen Kunststoff-Aktenkoffer in der linken Hand. Die rechte steckte in seiner Hosentasche. Ein Handlungsreisender, ging es mir durch den Kopf. Versicherungsvertreter. Buchhalter. Teilnahmslos sah er auf mich herab, als betrachte er einen Kaffeefleck auf dem Teppichboden seines Büros. Ungelenk stellte er den Koffer ab, öffnete den Mund und sagte deutlich: »Arr!«
    »Hi«, krächzte ich. »Sie sind ein Morner?«
    Der Fremde tätschelte mit der flachen Hand seine Brust, was wohl ›Ja‹ bedeuten sollte. Er bückte sich, griff mir unter die Achseln und richtete mich auf. Seine Kraft war enorm, seine Verhalten hingegen recht unnatürlich. Er bewegte sich so steif wie eine Holzpuppe, und in seinem Gesicht regte sich nichts, was auf Gefühle schließen ließ. Als er sich anschickte, mir die Lederjacke auszuziehen, hielt ich sein Handgelenk fest – und glaubte, einen dicken Ast zu umklammern. Dieser Kerl war kein Mensch, sondern ebenfalls eine Maschine! Er ließ sich nicht im geringsten von seinem Tun abhalten, und wenig später hielt er meine Jacke in den Händen. Mir hingegen blieb fast die Luft weg, denn seine Aktion hatte meine Schmerzen nicht gerade gemildert. Ob sich der Morner der Beschwerden einer Wunde, wie ich sie trug, bewußt war, konnte ich nicht sagen. Wahrscheinlich nicht.
    »Arr!« kommentierte er den Schlitz, den das Läuferbein ins Leder geschnitten hatte. Hoffentlich beginnt er jetzt nicht, die Jacke zusammenzuflicken, dachte ich. Der Morner untersuchte den Inhalt der Taschen, warf die Jacke dann achtlos auf den Boden. Er bückte sich erneut und begann, an meinem Schulterholster und dem blutgetränkten T-Shirt zu zerren. Ich biß die Zähne zusammen und bemühte mich, ihm so wenig Widerstand wie möglich zu bieten. Die ›Feinfühligkeit‹, die der Kerl an den Tag legte, brachte mich zur Weißglut.
    »Statt?« meldete sich Gamma wieder aus dem Autoradio. »Ich konnte deine Koordinaten nicht exakt bestimmen. Hat dich der Morner gefunden?«
    »Arr!« rief ich mißgelaunt.
    Einen Atemzug lang blieb es still. »Gut«, deutete Gamma meine Reaktion. »Er wird sich um deine Verletzungen kümmern. Folge seinen Anweisungen …«
    »Welchen Anweisungen?« erregte ich mich. »Der Kerl ist ein sprachbehinderter Grobmotoriker!«
    »Hör auf zu jammern und sei froh, daß ich ihn gefunden habe. Die Morner wurden als Helfer erschaffen. Sie sind nicht dazu da, Freundschaften zu schließen oder Sympathiepunkte zu sammeln, sondern um strukturelle Probleme innerhalb des -« Gamma stockte, als hätte er einen Lapsus begangen, sagte dann: »In den Ebenen zu lösen. Stell dir vor, dein Rasenmäher besäße einen IQ von 40, gepaart mit unerschütterlichem Pflichtbewußtsein. Ich glaube nicht, daß du ihn deswegen heiraten wolltest. Beiß die Zähne zusammen und laß den Morner seine Arbeit machen. Er weiß, was er tut. Wenn du willst, lehrt er dich sogar das Fliegen.«
    »Arr!« bestätigte der Morner. Er hatte den Koffer auf den Boden gelegt und geöffnet. Ich glaubte bereits, daß er – seiner Gefühlsarmut entsprechend – Nadel und Zwirn hervorholen würde, um mir die Schnittwunde ohne Narkose zu nähen, aber was er aus dem Koffer hob, sah aus wie ein silberner Pfannkuchen. Ohne mir dessen Bewandtnis zu erklären, ließ er sich neben mir nieder und legte das glänzende Ding auf meine Wunde. Ich schrie auf. Nicht vor Schmerz, sondern aufgrund der

Weitere Kostenlose Bücher