Lord Gamma
Nun war sie dreißig Meter vor dem Pontiac wie aus dem Nichts aufgetaucht und rannte direkt auf uns zu. Wir rollten mit über siebzig Sachen bergab, der Läufer kam uns fast ebenso schnell entgegen. Ich griff nach der Mossberg, wollte auf die Bremse treten und gleichzeitig das Kraftfeld aktivieren, aber es war viel zu spät. Der Läufer brauchte nicht einmal eine Sekunde, um uns zu erreichen.
Er sprang vor der Schnauze des Pontiac in die Höhe, rutschte über die Kühlerhaube, krachte durch die Windschutzscheibe gegen den Beifahrersitz und stieß ihn bis zur Rückbank, begleitet von einem dumpfen Krachen. Ich fühlte einen ungeheuren Schlag gegen meine Schulter, mein Arm mit dem Gewehr sackte schlaff herab, Glassplitter ergossen sich über mich. Im Augenwinkel sah ich einen schwarzen Haarschopf unter dem Metalleib des Läufers zucken, riß den Pontiac, dessen rechte Hälfte bereits durch Wüstensand pflügte, geistesgegenwärtig auf die Straße zurück.
Der Läufer bewegte sich noch, preßte mich mit seinem massigen Leib schmerzhaft gegen die Fahrertür. Ich war kaum noch fähig, das Steuer geradezuhalten. Als sich die Maschine aufbäumte, erhaschte ich einen kurzen Blick auf Prill. Die Spitzen zweier Metallbeine hatten sich in ihren Oberkörper gebohrt. Eines von ihnen war zwischen ihren Rippen abgebrochen und ragte aus ihrem Brustkorb. Die Aufschlagswucht des Metallkörpers hatte Prills Oberkörper und ihr Gesicht zerschmettert. Ein Blick genügte mir, um zu erkennen, daß sie tot war.
Mein Arm und meine rechte Schulter waren durch den Aufprall nahezu gelähmt, und ich vermutete, daß mein Schlüsselbein oder der Oberarmknochen gebrochen waren. Ich spürte keine Schmerzen, der Adrenalin-Schock war zu groß. Das Gewehr war mir aus der kraftlosen Hand gerutscht und in den Beifahrerfußraum gefallen. Unmöglich, es zu erreichen, ohne das Steuer loszulassen. Der gesamte Fahrerraum war mit Glassplittern der geborstenen Windschutzscheibe übersät, ihr Rahmen zerfetzt und über das Armaturenbrett gebogen. Ich spürte Blut, das aus zahlreichen winzigen Schnitten über mein Gesicht strömte. Der Läufer war aufgrund seiner Panzerung nur geringfügig beschädigt. Wenn er jetzt einen Hieb zur Seite vollführte, war ich erledigt. Doch er folgte einer anderen Programmierung. Seine Greifzangen packten Prill, rissen sie aus dem Sitz. Wenige Meter vor der Barriere sprang er mit ihr aus dem fahrenden Wagen, ehe ich in der Lage war, das Kraftfeld zu reaktivieren. Ihren leblosen Körper fest im Griff, rutschte er quer über den Asphalt und verschwand im hüfthohen Gras. Prill spürte von all dem nichts mehr. Ihre Reise war zu Ende – ein Ende mit Schrecken. Ihre Blutflecken auf den Polstern und an der Kopfstütze glühten für Sekunden auf, dann lag die Barriere hinter mir. Ein weiterer Tod im Archiv des Sublime. Vielleicht fand Prill eines Tages die Möglichkeit, diese letzten Sekunden zu verarbeiten. Wenn Gamma die Wahrheit sprach, würde sie irgendwann mit sechzehn dieser Erlebnisse fertig werden müssen. Ich hoffte, ich konnte ihr dann zur Seite stehen.
Nun war just das geschehen, was Gamma gefürchtet und ich seit Wochen zu verhindern versucht hatte: die Lords hatten Zugriff auf Prills Implantat nach ihrem Kontakt mit dem Schlüssel.
Instinktiv trat ich aufs Bremspedal, wollte stoppen, um den Läufer daran zu hindern, seine Informationen aus Prills Bewußtseinsmuster an Salmeiks Station weiterzusenden, aber eine Stimme in mir schrie: Fahr! Fahr weiter! Ich nahm den Fuß vom Pedal, ließ den Wagen rollen. Ein Blick zurück bestätigte meine Vermutung, daß Prill das eigentliche Ziel der Attacke gewesen war, und er festigte meinen Entschluß, nicht anzuhalten. Der Läufer, sichtlich lädiert, aber noch in der Lage, sich auf fünf unbeschädigten Beinen fortzubewegen, kam aus dem Gras gekrochen. Ohne sich um den davonfahrenden Wagen zu kümmern, eilte er auf der Straße in entgegengesetzter Richtung davon – in seinen Greifzangen Prills abgetrennten Kopf. Es war ein Anblick, der mir den Magen umdrehte.
Ich wußte nicht, ob die Maschine nur deshalb so skrupellos vorgegangen war, weil sie erkannt hatte, daß Prill tot war, oder Salmeik sie darauf programmiert hatte, falls die Umstände keine Alternative mehr zuließen. Wenige hundert Meter vor der Barriere und der Zerstörung des Implantats hatte der Läufer quasi mit dem Rücken zur Wand gestanden. Die von mir als eher gering eingestufte Gefahr, die von den Läufern
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