Lord Gamma
extremen Kälte, die das Objekt verströmte. Es fühlte sich an, als bestünde es aus demselben Material wie der Schlüssel. Daß dieses Gefühl nicht trog, bewies der Pfannkuchen, indem er sich zu verformen begann. Er breitete sich konzentrisch über meinen Körper aus, floß über die Haut wie Quecksilber.
»Herrgott«, rief ich bestürzt, »was macht dieses Ding?«
»Falls du das Heftpflaster meinst; es sucht deinen Körper nach Wunden ab«, erklärte Gamma. »Wenn du allerdings weiterhin herumbrüllst wie eine gebärende Xanthippe, wirst du bald alle Läufer dieser Zone angelockt haben.«
Ich konnte nicht antworten. Der silberne Metallfilm hatte mein Gesicht erreicht und es vollständig bedeckt. Dennoch war ich in der Lage, weiterzuatmen, was meine Panik ein wenig milderte. Oberkörper, Arme und Kopf waren lückenlos umhüllt. Ich fühlte mich wie schockgefrostet, spürte gleichzeitig das Pflaster an meinen Wunden arbeiten. Das Gewebe um den Schnitt über meinen Rippen und an meiner Schulter vibrierte, ebenso das am Hals, an den Händen und an mehreren Stellen meines Gesichts, wo mich die Glassplitter getroffen hatten. Ich fühlte keine Schmerzen mehr, wagte es aber nicht, mich unter dem Silberfilm zu bewegen. Ob auch dieses Pflaster eine rudimentäre Intelligenz besaß? In was für einer unvorstellbaren Welt lebten Gamma und die Lords? Was für eine Sphäre war das, in der alles von Bewußtsein erfüllt war? Die Vorstellung, daß jedes leblose Ding beseelt war und wußte, wozu es gebraucht wurde, daß es selbständig den Sinn seiner Existenz zu erfüllen vermochte, ängstigte mich. Aschenbecher, die Rauchern hinterherkrochen, Operationsbesteck, das eigenständig Bypässe legte, emanzipierte Fahrzeuge, die sich von autonomen Zapfsäulen betanken ließen, Straßen, die sich persönlich erweiterten, um Städte zu verbinden, Städte, die sich selbst errichteten, um sich bewohnen zu lassen … eine selbstgesteuerte Welt – mit Menschen, die keine sinnvollere Beschäftigung mehr besaßen, als ihren Intellekt zu potenzieren …
Ich erinnerte mich an den Schatten des Lords, den ich einst gesehen hatte; mit seinen stummeiförmigen, fingerlosen Armen, dem unförmigen Leib und seinem riesigen Kopf. Und ich fragte mich: Wie abwegig war meine Phantasie, wie unvorstellbar oder vorstellbar war die Welt der Lords wirklich? Und wie weitreichend war Gammas Behauptung, das Organische und Materielle sei auf ihr etwas Prähistorisches? Bezog sie sich nur auf das Sublime? Oder den gesamten Planeten? Gab es überhaupt so etwas wie einen Planeten, oder war dort alles nur – Geist?
Naos 5
»SIE KÖNNEN WÄHLEN zwischen Hühnchen mit Reis und Karotten, Kalbsbraten mit Nudeln und Bohnen, Roulade mit Kartoffelpüree und Rotkraut …« Seetha zieht Fertiggericht für Fertiggericht aus dem Rollfach und verteilt die in Aluminiumfolie verpackten Behälter auf dem Boden. Putenbrust, Hacksteaks, Fisch …
»Hühnchen klingt gut«, entscheide ich und kippe den Rest Mineralwasser in mich hinein. Es ist bereits die zweite Dose, die ich leere.
Wir haben die Küche zuerst überhaupt nicht wahrgenommen. Ehrlich gesagt, es ist Seetha gewesen, die sie entdeckt hat. Staunend und mit knurrenden Mägen saßen wir zuvor auf dem Kabinenboden und beobachteten, wie sich zuklappbare Handgepäckablagen, Videomonitore und Belüftungsdüsen an der Decke bildeten. In dem kurzen Flur zwischen dem kleinen und dem großen Kabinenraum entdeckte ich zwei Türen, und als ich sie öffnete, fand ich auf der einen Seite eine vollständig eingerichtete Toilette und auf der anderen einen Umkleide- und Waschraum vor. Auf die Idee, daß auch das Küchenmodul entstanden sein müsse, kam Seetha. Und sie behielt recht. Jener kleine Raum am Ende der Hauptkabine ist nun mit Rollcontainern, Stapelboxen, Hängeschränken und acht integrierten Mikrowellengeräten ausgestattet. Seetha hat die Rollfächer aufgezogen und Hunderte vorgefertigter Mahlzeiten und Getränke vorgefunden.
Nachdem wir die Gerichte aufgewärmt haben, setzen wir uns auf den Boden der Hauptkabine und schlagen uns die Bäuche voll. Leider haben sich die Passagiersitze noch nicht manifestiert, um uns das Essen bequemer zu machen. Zu allem Überfluß ist Seetha Vegetarierin. Da es ihr zu aufwendig war, entsprechende Gerichte in den Containern zu suchen, hat sie sich Gemüsebeilagen und Kartoffeln aus mehreren Gerichten zusammengeschüttet. Ihr Essen sieht aus wie ein Eintopf ohne Suppe, aber es
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