Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
Vom Netzwerk:
scheint ihr zu schmecken; wobei ihr Gaumen wahrscheinlich weniger für ihren Appetit verantwortlich ist als ihr Magen.
    Danach liegen wir nebeneinander auf dem Boden, blicken an die Decke und schweigen, zwei satte Ratten im Käfig. Unsere gefüllten Bäuche trösten über vieles hinweg. An unserer Situation können wir nichts ändern, nehmen sie daher, wie sie ist. Die Kabinenfenster zu zertrümmern oder zu versuchen, ein Loch durch die Wand zu schlagen, erscheint zumindest mir sinnlos. Wenn jemand oder etwas dort draußen ist, wird er oder es sich früher oder später zu erkennen geben. Daß nur der Gnom mit dem Aktenkoffer dahintersteckt, bezweifle ich.
    Seetha setzt sich auf, als wäre ihr etwas Wichtiges eingefallen, sieht dann auf mich herab. Meine Nackenhärchen sträuben sich bei dem Blick, mit dem sie mich studiert. Ich schaue sie einen Augenblick an, dann ist sie auch schon über mir. Eine Sekunde lang sehe ich Prills Gesicht vor meinen Augen, aber Seetha bedeckt sie mit ihren Lippen. Ich habe sie nicht gefragt, ob sie verheiratet ist … Dieser Ort entbindet uns von allem. Wir verlangen beide danach, denken nicht daran, daß uns mit Sicherheit jemand beobachtet. Vielleicht zeichnet man unseren Akt sogar auf. Die Ratten kopulieren im Käfig. Sollen unsere Kerkermeister ihren Spaß haben. Es ist uns egal.
    Voyons! Voyons!
     
    »Was denken Sie jetzt von mir?« fragt Seetha. Ihr Kopf ruht auf meiner nackten Brust.
    »Nichts Schlechtes, wenn Sie das meinen«, antworte ich. »Es war in Ordnung.«
    »Und wenn Ihre Verlobte plötzlich hier … auftaucht? Sie gehört doch ebenfalls zu den Passagieren.«
    Ich lasse meine Finger durch Seethas Haar wandern. »Dann sollten wir uns vorher zumindest wieder angezogen haben. Ich denke auch, wir können uns jetzt duzen.«
    Seetha rollt sich zusammen wie ein Fötus. In ihren Händen hält sie plötzlich wieder die Papierschwalbe, die neben uns gelegen haben muß.
    »Das ist das Symbol für eine Gammastrahlenkonstante«, sinniert sie und fährt mit der Spitze ihres Zeigefingers das  Γ entlang. »Sie ist der Quotient aus einer Gleichgewichts-Ionendosisleistung und der Aktivität eines Radionuklids.«
    »Aha«, sage ich. »Woher weißt du das? Gehörst du zu denen dort draußen?«
    »Ich bin Radiologin.«
    »Du liebe Güte … Warum bist du dir so sicher, daß dieses Symbol ein Gamma darstellt?«
    Die Frau lächelt selbstbewußt. »Weil es eindeutig ein Gamma ist . Ob griechisch Gamma, kyrillisch Ge oder semitisch Gimel, das Zeichen bleibt das gleiche.«
    »Vielleicht befinden wir uns in einer Spiegelwelt, und es ist doch ein L«, entgegne ich scherzhaft.
    »Wir sind hier nicht bei Alice im Wunderland … wie heißt du eigentlich?«
    »Stan. Stan Ternasky. Das mit dem Wunderland würde ich mir allerdings noch einmal überlegen. Um uns herum entsteht ein Flugzeug, findest du das nicht wunderlich?«
    Seetha wiegt ihren Kopf hin und her. »Dafür gibt es bestimmt eine Erklärung.«
    »Und für deine Anwesenheit?«
    Seetha schweigt, faltet die Papierschwalbe auseinander, betrachtet die vier Gammas auf dem Blatt. Sie stehen mal nach rechts und mal nach links gekippt in einer Reihe, ergeben aber keinen erkennbaren Sinn. »Gamma war früher einmal der tiefste Ton der Tonleiter«, überlegt sie laut, während sie das Blatt betrachtet.
    »Du meinst, wir sollten gemeinsam ›Om‹ singen?«
    »Warum mußt du alles ins Lächerliche ziehen, Stan?« Seetha zerknüllt das Blatt und wirft es in eine Ecke der Kabine. »Ich hoffe, daß man mich nicht zu deiner Unterhaltung hierher geschickt hat … he!« Sie richtet sich abrupt auf, blickt auf meinen Bauch.
    »Was ist?« frage ich. Seetha antwortet nicht, sieht mich nur an und weicht vor mir zurück, als hätte ich mich in einen Alligator verwandelt. »Was hast du denn?« will ich wissen, setze mich auf.
    »Dein Bauch -«, stammelt sie, schluckt.
    »Bitte?«
    »Dein Bauchnabel …«
    »Ja? Was ist damit?« Ich schaue an mir herab, um herauszufinden, was sie so an ihm beunruhigt. Mein Brustkorb ist unversehrt, makellos. Zu makellos. Und mein Bauch … Ich habe nicht darauf geachtet, ebensowenig wie Seetha. Warum auch? Ein Nabel ist dort, wo er hingehört. So sollte es zumindest sein. Das glatte, kreisrunde Mal, das statt dessen auf meinem Bauch prangt, widerlegt diese Regel. Ich starre es minutenlang an, taste, ziehe, knete, drücke. Vergeblich. Mein Bauchnabel und meine Narben bleiben verschwunden!
    Wie erkläre ich einer nackten, irritierten

Weitere Kostenlose Bücher