Lord Garrows widerspenstige Braut
gekommen, um ihre Reisekoffer abzuholen. Es wurde Zeit aufzubrechen. Susanna zwinkerte und lehnte sich für einen Moment an die Lehne des Sessels, um ihr inneres Gleichgewicht wieder zu erlangen. Fast bedauerte sie, dass der Kuss ein so abruptes Ende gefunden hatte. Aber sie wusste, dass die Zeit dafür, sich ihm hinzugeben, noch nicht gekommen war. Nein. Nicht so lange ich keinen Weg gefunden habe, dabei vernünftig zu bleiben. "Es ist noch zu früh für die Abreise", murmelte sie düster.
"Verdammt richtig", meinte James und humpelte ärgerlich über den Teppich zur Tür. "Ich glaube, ich muss seinem Empfehlungsschreiben noch einen Zusatz hinzufügen!"
Susanna musste lachen. Das Verlangen, das sie gefühlt hatte, wandelte sich in Erleichterung um. Einen Moment lang hatte sie gefürchtet – und gehofft –, dass James darauf bestehen würde, noch einen Tag in Edinburgh zu bleiben. Um zu beenden, was sie begonnen hatte.
Wegen ihrer Abreise in die Highlands hatte Susanna ebenso gemischte Gefühle. Nun würde für sie ein neuer Lebensabschnitt anbrechen. Das Leben im Hotel war in festen Bahnen verlaufen, es war eine Fortführung der Reise mit ihrem Vater gewesen. Durch die relative Isolierung und den vorsichtigen Umgang, den sie und James während seiner Genesung miteinander gepflegt hatten, war ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen ihnen entstanden. Sobald sie die Zimmer verließen, würde sich ihre Beziehung zwangsläufig ändern, wovor sich Susanna fürchtete.
Allerdings war sie mit der Wahl ihres Ehemannes eigentlich recht zufrieden. Er war ein angenehmer Gesellschafter, auch wenn er sie nervös machte. Und er war weitaus gebildeter, als sie am ersten Tag gedacht hatte. Zudem bewies seine Skulptur, dass er ein großes künstlerisches Talent besaß.
Die Skulptur, fiel es ihr siedend heiß ein. Ich habe ja völlig vergessen, Snively loszuschicken, um sie abzuholen! Ich kann sie doch nicht hier in Edinburgh zurücklassen! Aber wenn sie jetzt den Aufbruch verzögerte, dann würde sie James erklären müssen, was der Grund dafür war. Sie schwankte innerlich. Ich sollte besser Stillschweigen bewahren – so lange, bis ich weiß, ob auch Monsieur Aubert der Meinung war, dass James Talent hat. James würde enttäuscht sein, wenn sein Werk für unwert befunden wurde. Nein, nur wenn James fragte, was mit der Skulptur passiert war, würde sie erzählen, was sie unternommen hatte. Solange er das nicht tat, gab es keinen Grund dazu, ihm womöglich falsche Hoffnungen zu machen. Das nächste Mal, wenn sie in Edinburgh waren, würde sie selbst in die Galerie gehen. Und Monsieur Aubert nach dem Wert der Figurine fragen.
Im Moment waren andere Dinge wichtiger. Susanna wollte sich ganz der Aufgabe widmen, ihrem Mann eine untadelige Ehefrau zu sein und ihren Pflichten als Baroness nachzukommen. Mehr als das, schwor Susanna sich. Sie würde nicht vergessen, dass die Gesellschaft reformiert werden musste.
Und sie würde auch James davon überzeugen.
6. Kapitel
Kurz vor Sonnenaufgang kletterten die Garrows in die Reisekutsche, die sie in der Gasse hinter dem Royal Arms erwartete. James hatte alles getan, um zu verhindern, dass ihre Abfahrt bemerkt wurde, auch wenn er wusste, dass eine absolute Geheimhaltung nicht zu gewährleisten war. Die Zeit ihres Aufbruchs, das Fehlen jeglichen Pomps und das gewöhnlich wirkende Fahrzeug waren aber zumindest eine Vorsichtsmaßnahme. Die Person, die versucht hatte, den Earl zu ermorden, hatte es auch auf das Leben seiner Tochter abgesehen, was James große Sorgen bereitete.
Susannas Vater hatte an diesem Morgen nach Edinburgh telegrafiert, dass er heil in London angekommen war. Weitere Vorfälle seien nicht zu vermelden. Aber James wusste, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis ein neuer Anschlag erfolgte. Derjenige, der Eastonby tot sehen wollte, hatte sehr entschlossen gewirkt. Als er an den Überfall dachte, meinte er für einen Moment, erneut den Pulverdampf in der Luft zu riechen. Grimmig rieb er sich den verletzten Oberschenkel.
Snively hatte dafür gesorgt, dass zwei vertrauenswürdige Männer sie zu Pferd begleiten würden. Als Kutscher hatte er einen Mann engagiert, der im Notfall das Letzte aus dem Gespann herausholen würde. Möglicherweise war Schnelligkeit das entscheidende Moment für ihre Rettung. Alle Mitglieder der Reisegesellschaft außer Susanna waren zudem bewaffnet und auf die Gefahr eines Überfalls hingewiesen worden.
Die gut gefederte Kutsche
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