Lord Garrows widerspenstige Braut
unterhaltsam sein konnte. Er weigerte sich jedoch hartnäckig, mit ihr Karten zu spielen, und sei es auch nur zum Zeitvertreib. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund schien er eine heftige Abneigung gegen Glücksspiele zu haben. Ab und an ließ er sich zu einer Partie Schach mit ihr herab. Susanna ließ ihn meist gewinnen, aber nur, weil es sie amüsierte, dass er sich nach jeder gewonnenen Partie benahm, als habe er eine Schlacht gewonnen. Ja, Susanna hätte James jederzeit schachmatt setzen können, wenn sie gewollt hätte. Aber sie wollte ihn nicht unnötig gegen sich aufbringen.
James. Es fiel Susanna schwer, an etwas anderes als ihn zu denken, denn er war so präsent. Wann immer sie ihr Schlafzimmer verließ, leistete er ihr Gesellschaft. Und es war ihr fast unmöglich gewesen, ihn zu ignorieren oder in seiner Gegenwart ein Buch zu lesen, denn er schien sie nicht aus den Augen zu lassen.
"Bist du endlich fertig?" fragte er vergnügt, als er am frühen Morgen reisefertig aus seinem Schlafzimmer kam.
Ihr verschlug es den Atem. Bisher hatte sie ihn nur mit seinen verknitterten alten Kleidern gesehen, in Nachthemden und Morgenmänteln. Aber nun stand ein perfekter Gentleman vor ihr.
James' tadellos steifer weißer Hemdkragen und sein dunkelgraues Halstuch betonten die Bräune seiner Haut. Der dunkelbraune Jackettanzug, den sie für ihn in Auftrag gegeben hatte, saß wie angegossen. Und selbst seine alten Schuhe wirkten adrett, denn sie waren auf Hochglanz poliert. Mit der einen Hand stützte er sich auf den Spazierstock, mit der anderen schlug er in einer ungeduldigen Bewegung die Handschuhe gegen sein gesundes Bein. Er musste diesen Ort genauso satt haben wie sie.
"Ein hübsches blaues Kleid", meinte er und hob eine Augenbraue. "Neu?"
Susanna schüttelte den Kopf und wünschte nun, sie hätte am heutigen Tag bei der Auswahl der Garderobe mehr auf Eleganz geachtet als auf Reisetauglichkeit. Verlegen strich sie über die oberste Volantreihe ihrer glockenförmig fallenden Röcke. Der klein gemusterte, robuste Stoff ihres Reisekostüms war ihr beim Kauf pflegeleicht erschienen. So praktisch und zweckmäßig sie angezogen war – gegen James' elegantes Erscheinungsbild wirkte sie in ihrem Tageskleid bieder und schlicht.
"Mein bestes Kleid werde ich bei der Ankunft tragen. Erste Eindrücke sind ja immer so wichtig", meinte sie verunsichert, während sie ihren Kapotthut zurechtrückte und versuchte, die Taftbänder rechts an ihrem Kinn zu einer Schleife zu binden. Dass James sie dabei nicht aus den Augen ließ, machte Susanna nervös, und sie bekam eines der Bänder nicht zu fassen.
"Einen Moment", meinte er, nahm den Spazierstock und humpelte auf sie zu. Am liebsten wäre sie davongerannt, als sie den Blick sah, den er ihr zuwarf. Hatte James vor, sie zu küssen? Das hatte er nicht mehr versucht, seit er mit ihrem Vater zu Solly's Copse aufgebrochen war. Die Erinnerung an den leidenschaftlichen Kuss vor dem Hotel ließ sie erröten.
"Erlaube bitte!"
Stocksteif stand sie da, während James seinen Spazierstock und seine Handschuhe auf die Lehne eines Sessels legte und seine rauen Hände über ihre weichen Wangen streifen ließ. Dass er dann an den Bändern ihres Hutes zupfte, konnte nichts an dem magischen Moment stören.
"Bezaubernd", murmelte er, während er eine Hand über ihre Wange gleiten ließ.
Susanna errötete vor Verlegenheit, denn sie konnte schlecht mit Komplimenten umgehen. Ohne jede Mühe hatte er ihre Schwachstelle ausfindig gemacht. Um ihre Verlegenheit zu kaschieren, stellte sie sich spontan auf die Zehenspitzen und küsste ihn.
Überrascht hielt James den Atem an und ließ sie gewähren.
Susanna vertiefte ihren Kuss. Seine Lippen waren so weich. Ich werde ihn verführen, bevor er mich verführt, dachte sie. Sie war schon halb dabei, als sie plötzlich erkannte, dass sie sich in ihrer eigenen Falle gefangen hatte. Sie schloss die Augen.
James schmeckte nach Zucker und Kaffee. Und er duftete nach Heidekraut. Susanna fühlte sich eigenartig berauscht. Ihr ganzer Körper vibrierte vor Verlangen, als sie sich eng an ihn presste. Er schlang die Arme um sie und streichelte mit den Händen ihren Nacken, so dass sich ihr Herzschlag beschleunigte.
Plötzlich ließ James sie los, machte einen Schritt zurück und atmete tief durch. Wütend sah er zur Tür. "Verdammt!" Laut hallte der Fluch im Raum wider.
Jemand klopfte an der Tür, wie Susanna erst jetzt bemerkte. Snively . Er war vermutlich
Weitere Kostenlose Bücher