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Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes

Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes

Titel: Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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sie nicht wußte, was Wimsey und Parker insgeheim wußten, nahm sie die Entführungsgeschichte für bare Münze. In gewissem Sinne fand sie darin sogar ein wenig Trost, denn nun konnte sie Mary Whittaker von jeder Beteiligung an diesem oder den früheren Morden freisprechen. Sie konnte sie – abgesehen von Miss Dawsons Tod, der aber gar kein Mord zu sein brauchte – diesem geheimnisvollen Mann in der South Audley Street zur Last legen. Im Geiste entwarf sie sein schreckliches Konterfei – blutbespritzt, düster und, was das Schlimmste war, mit verkommenen schwarzhäutigen Meuchelmördern unter einer Decke, sogar ihr Auftraggeber. Zu Miss Climpsons Ehre sei gesagt, daß ihr Entschluß, dieses Ungeheuer in seiner Höhle aufzuspüren, keinen Augenblick wankte.
    Sie schrieb einen langen Brief an Lord Peter und setzte ihm darin ihren Plan auseinander. Da sie wußte, daß Bunter nicht mehr am Piccadilly 110 A war, adressierte sie den Brief nach längerem Nachdenken an Lord Peter Wimsey, c/o Inspektor Parker, Polizeistation Crow’s Beach. Natürlich ging sonntags keine Post aus der Stadt, aber mit der Mitternachtspost würde der Brief schon noch abgehen.
    Am Montag früh brach sie zeitig in ihren alten Kleidern und der Sonnenbrille zur South Audley Street auf. Ihre natürliche Wißbegierde und die harte Schule drittklassiger Mietshäuser waren ihr nie besser zustatten gekommen. Sie hatte gelernt, Fragen zu stellen, Abfuhren einzustecken – hartnäckig zu sein, dickfellig und wachsam. In jeder Wohnung, an der sie klingelte, spielte sie nur sich selbst mit solcher Hingabe und zäher Beharrlichkeit, daß sie selten ohne Spende wieder herauskam, und fast nie ohne Informationen über die Häuser und ihre Bewohner.
    Um die Teestunde hatte sie eine Straßenseite ganz und die andere fast zur Hälfte geschafft, jedoch ohne Ergebnis. Eben faßte sie den Gedanken, rasch etwas essen zu gehen, als sie eine Frau erblickte, die etwa hundert Schritte vor ihr eiligen Schrittes in dieselbe Richtung ging wie sie.
    Nun kann man sich ja bei Gesichtern leicht vertun, aber es ist fast unmöglich, sich in einem Rücken zu irren. Miss Climpson schlug das Herz bis zum Hals. »Mary Whittaker!« sagte sie laut und nahm schon die Verfolgung auf.
    Die Frau blieb stehen und sah in ein Schaufenster. Miss Climpson mochte nicht näher herangehen. Wenn Mary Whittaker frei herumlief, dann – ja, dann war diese Entführung mit ihrem Einverständnis geschehen! Verwirrt beschloß Miss Climpson, sich abwartend zu verhalten. Die Frau ging in ein Geschäft. Der freundliche Apotheker war fast genau gegenüber. Miss Climpson sah, daß dies der rechte Augenblick war, ihren Schlüssel zurückzufordern. Sie trat ein und fragte danach. Man hatte ihn schon für sie zurückgelegt, und der Verkäufer gab ihn ihr sofort. Die Frau war aber noch immer in dem Laden gegenüber. Miss Climpson nahm Zuflucht zu endlos langen Entschuldigungen und umständlichen Beispielen ihrer Vergeßlichkeit. Jetzt kam die Frau heraus. Miss Climpson ließ ihr einen angemessenen Vorsprung, dann beendete sie die Unterhaltung und verließ umständlich die Apotheke, wobei sie die Brille wieder aufsetzte, die sie für den Apotheker abgenommen hatte.
    Die Frau ging jetzt ohne Aufenthalt weiter, blickte aber hin und wieder in ein Schaufenster. Ein Mann mit einem Obstkarren nahm seine Mütze ab, als sie vorbeiging, und kratzte sich am Kopf. Fast im selben Augenblick machte die Frau auf dem Absatz kehrt und kam zurück. Der Obstverkäufer packte seinen Karren an der Stange und schob ihn in eine Nebenstraße. Die Frau kam ihr direkt entgegen, so daß Miss Climpson gezwungen war, rasch in einen Hauseingang zu verschwinden und so zu tun, als ob sie einen Schuh binden müßte, sonst wäre eine Begegnung von Angesicht zu Angesicht unvermeidlich gewesen.
    Die Frau hatte offenbar nur vergessen, Zigaretten zu kaufen, denn sie ging in einen Tabakladen, aus dem sie schon bald wieder herauskam. Wieder begegnete sie Miss Climpson, die diesmal ihre Handtasche fallen gelassen hatte und emsig mit dem Einsammeln ihrer Habseligkeiten beschäftigt war. Die Frau ging ohne einen Blick an ihr vorbei und weiter. Miss Climpson, noch rot vom Bücken, folgte ihr wieder. Jetzt wandte die Frau sich auf den Eingang eines Wohngebäudes zu, gleich neben einem Blumenladen. Miss Climpson war ihr hart auf den Fersen, um sie nur ja nicht zu verlieren.
    Mary Whittaker – falls es Mary Whittaker war – ging durch den Eingangsflur

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