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Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes

Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes

Titel: Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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groß geschrieben und unterstrichen. Dann war von einem Streit die Rede, von bösen Anschuldigungen, zornigen Worten und einer Entfremdung der Seele der Sünderin von Gott. Das Wort »Idol« – und dann ein langer Gedankenstrich.
    Aus diesem dürftigen Gerippe vermochte Miss Climpson mühelos eine jener haßerfüllten, leidenschaftlichen »Szenen« gekränkter Eifersucht zu rekonstruieren, die sie aus ihrem unter Frauen verbrachten Leben allzugut kannte. »Ich tue alles für dich – dir liegt kein bißchen an mir – du behandelst mich grausam – ich bin dir einfach über, das ist es!« Und – »Sei doch nicht albern. Ehrlich, ich halte das nicht aus. Ach, nun hör doch auf, Vera! Ich kann es nicht leiden, so abgeschleckt zu werden.« Demütigende, erniedrigende, ermüdende, häßliche Szenen, bekannt aus Mädchenschulen, Pensionaten, Gemeinschaftswohnungen in Bloomsbury. Schnöder Egoismus, der seines Opfers überdrüssig wurde. Alberne Schwärmerei, die jede Selbstachtung ertränkte. Dumme Streitereien, die in Beschämung und Haß endeten.
    »So eine gemeine Blutsaugerin«, sagte Miss Climpson erbost. »Es ist zu arg. Sie nutzt das Mädchen nur aus.«
    Doch nun plagte die Gewissensforscherin ein schwierigeres Problem. Aus den Andeutungen konnte Miss Climpson es sich mit Leichtigkeit zusammenreimen. Sie hatte gelogen – das war unrecht, auch wenn sie damit nur einer Freundin hatte helfen wollen. Sie hatte falsche Beichten abgelegt, indem sie diese Lügen verschwieg. Das mußte von neuem gebeichtet und in Ordnung gebracht werden. Aber (fragte sich das Mädchen) war sie aus Haß gegen die Lüge zu diesem Schluß gekommen oder nur aus Groll gegen die Freundin? Schwierig, so eine Gewissensforschung. Und sollte sie, anstatt sich damit zu begnügen, die Lügen dem Priester zu beichten, nicht auch der Welt die Wahrheit sagen?
    Miss Climpson hatte hier keinerlei Zweifel, wie der Priester entscheiden würde. »Du brauchst nicht eigens herzugehen und das Vertrauen der Freundin zu verraten. Bewahre Stillschweigen, wenn du kannst, aber wenn du sprichst, mußt du die Wahrheit sagen. Du mußt deiner Freundin sagen, daß sie keine weiteren Lügen von dir erwarten darf. Sie hat ein Recht auf dein Schweigen – mehr nicht.«
    So weit, so gut. Aber dann gab es da noch ein Problem.
    »Muß ich zusehen, wie sie Unrecht tut?« – und sozusagen als erklärende Randbemerkung: »Der Mann in der South Audley Street.«
    Das war allerdings ein bißchen rätselhaft … Aber nein! Im Gegenteil, es klärte das ganze Rätsel von Eifersucht und Streiterei auf!
    In diesen ganzen April – und Maiwochen, in denen Mary Whittaker angeblich mit Vera Findlater in Kent gewesen war, hatte sie Ausflüge nach London gemacht. Und Vera hatte ihr versprochen, zu Hause zu erzählen, Mary sei die ganze Zeit mit ihr zusammengewesen. Und die Fahrten nach London hatten mit einem Mann in der South Audley Street zu tun, und daran mußte irgend etwas Sündiges sein. Wahrscheinlich eine Liebesaffäre. Miss Climpson spitzte tugendhaft die Lippen, aber eigentlich war sie mehr überrascht als schockiert. Mary Whittaker! Der hätte sie das eigentlich nie zugetraut. Aber es war so eine gute Erklärung für die Eifersucht und den Streit – das Gefühl des Betrogenseins. Aber wie hatte Vera es herausbekommen? Hatte Mary Whittaker es ihr anvertraut? Nein – noch einmal dieser Satz unter der Überschrift »Eifersucht« – was stand da? »M. W. nach London gefolgt.« Sie war ihr also nachgefahren und hatte es gesehen. Und irgendwann war sie dann mit ihrem Wissen herausgeplatzt und hatte der Freundin Vorwürfe gemacht. Diese Expedition nach London mußte allerdings vor Miss Climpsons Unterredung mit Vera Findlater stattgefunden haben, und dennoch war sich das Mädchen da der Zuneigung Mary Whittakers so sicher gewesen. Oder hatte sie womöglich nur versucht, die Augen fest zu schließen und sich beharrlich einzureden, an der Geschichte mit dem Mann sei »nichts dran«? Wahrscheinlich. Und wahrscheinlich hatte dann irgendeine Gemeinheit von Marys Seite die ganzen bösen Verdächtigungen an die Oberfläche kochen lassen, laut, vorwurfsvoll, wütend. Und so war es zum Krach und dann zum Bruch gekommen.
    Sonderbar, dachte Miss Climpson, daß Vera nie zu mir gekommen ist und mir von ihrem Kummer berichtet hat. Aber vielleicht schämt es sich, das arme Kind. Ich habe sie jetzt seit fast einer Woche nicht mehr gesehen. Ich sollte sie einmal besuchen gehen, vielleicht erzählt

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