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Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes

Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes

Titel: Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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nicht nach ihrem Anwalt geschickt?«
    »Vielleicht hat sie es versucht. Immerhin war sie bettlägerig und hilflos. Mary könnte verhindert haben, daß der Brief hinausging.«
    »Klingt ganz plausibel.«
    »Nicht wahr? Und darum will ich Evelyn Croppers Aussage haben. Ich bin ganz sicher, daß die beiden Mädchen rausgeflogen sind, weil sie mehr gehört hatten, als sie sollten. Oder wozu sonst der große Eifer, sie nach London zu schicken?«
    »Ja, in diesem Punkt fand ich Mrs. Gullivers Erzählung auch etwas merkwürdig. Sag mal, was ist eigentlich mit der anderen Krankenschwester?«
    »Schwester Forbes? Gute Idee. Die hätte ich fast vergessen. Ob du sie wohl ausfindig machen kannst?«
    »Natürlich, wenn du sie für so wichtig hältst.«
    »Doch. Ich halte sie für sehr wichtig. Hör mal, Charles, du scheinst von dem Fall nicht besonders begeistert zu sein.«
    »Na ja, weißt du, ich bin nicht so sicher, daß es überhaupt ein Fall ist. Wieso bist du eigentlich so scharf darauf? Du scheinst unerbittlich entschlossen zu sein, einen Mord daraus zu machen, und praktisch ohne etwas in der Hand zu haben. Warum eigentlich?«
    Lord Peter stand auf und ging im Zimmer auf und ab. Das Licht der einsamen Leselampe warf seinen hageren Schatten, unscharf und grotesk in die Länge gezogen, an die Zimmerdekke. Er trat zu einem Bücherregal, und der Schatten schrumpfte, wurde schwärzer, kam zur Ruhe. Er streckte die Hand aus, und der Schatten flog mit, glitt über die vergoldeten Büchertitel und verdunkelte sie einen um den anderen.
    »Warum?« wiederholte Wimsey. »Weil ich glaube, daß ich hier den Fall gefunden habe, den ich schon immer suche. Den Fall der Fälle. Den Mord ohne erkennbare Mittel, Motive oder Spuren. Den Normallfall. Die alle hier –« seine ausgestreckte Hand glitt am Bücherregal entlang, und der Schatten beschrieb eine schnellere, bedrohlichere Geste – »alle die Bücher auf dieser Seite hier sind Bücher über Verbrechen. Aber sie befassen sich nur mit den unnormalen Verbrechen.«
    »Was verstehst du unter unnormalen Verbrechen?«
    »Die mißglückten. Die Verbrechen, die entdeckt wurden. Was meinst du wohl, in welchem Verhältnis sie zu den erfolgreichen Verbrechen stehen – von denen nie einer erfährt?«
    »In diesem Lande«, sagte Parker ein wenig förmlich, »wird die Mehrzahl aller Verbrecher entdeckt und überführt –«
    »Mein Bester, ich weiß, daß ihr Leute von der Polizei bei mindestens sechzig Prozent aller bekanntgewordenen Verbrechen den Übeltäter zu fassen kriegt. Aber in dem Moment, in dem ein Verbrechen auch nur vermutet wird, fällt es ipso facto unter die mißglückten. Danach ist es nur noch eine Frage des mehr oder minder großen Geschicks der Polizei. Wie steht es aber mit den Verbrechen, die gar nicht erst vermutet werden?«
    Parker hob die Schultern.
    »Wie soll einer das beantworten?«
    »Eben – aber raten kann man. Lies mal heute irgendeine Zeitung. Lies die News of the World. Oder nachdem die Presse ja mundtot gemacht ist, sieh dir die Schlangen vor den Scheidungsgerichten an. Sollte man nicht den Eindruck gewinnen, die Ehe habe versagt? Wimmelt es nicht auch in der Boulevardpresse von Beiträgen, die genau in diese Richtung zielen? Und dann sieh dir zum Vergleich die Ehen an, die du aus eigener Anschauung kennst – sind die meisten nicht auf eine ganz langweilige, unscheinbare Weise glücklich? Aber von denen hört man nichts. Die Leute rennen nicht zum Kadi, um zu erklären, daß sie im großen und ganzen, vielen Dank der Nachfrage, recht gut miteinander auskommen. Und wenn du jetzt die ganzen Bücher hier auf diesem Regal lesen würdest, kämst du zu dem Schluß, daß Mord ein schlechtes Geschäft ist. Dabei erfährt man doch weiß Gott nur von den mißglückten Morden. Erfolgreiche Mörder schreiben nicht darüber in der Zeitung. Sie treffen sich auch nicht zu albernen Tagungen, wo sie der neugierigen Umwelt mitteilen, ›Was Morden mir bedeutet‹ oder ›Wie ich ein erfolgreicher Giftmörder wurde‹. Mit erfolgreichen Mördern ist es wie mit glücklichen Ehefrauen – sie halten den Mund. Und wahrscheinlich stehen die mißglückten zu den geglückten Morden in einem ähnlichen Verhältnis wie die geschiedenen Ehen zu den glücklich zweisamen Paaren.«
    »Übertreibst du da nicht ein bißchen?«
    »Weiß ich nicht. Keiner weiß es. Das ist ja das Teuflische. Aber frag mal einen Arzt, wenn du ihn in aufgelockerter und feuchtfröhlicher Stimmung antriffst, wie oft

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