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Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes

Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes

Titel: Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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das erste, was ihm als Erklärung in den Sinn kam. Als nächstes würde der legendäre Mr. Forrest oder jemand in seiner Vertretung plötzlich vor der Tür stehen, glühend vor Zorn und empörten Empfindungen.
    Eine hübsche kleine Falle, dachte Wimsey, um laut hinzuzufügen: »Ich muß jetzt aber wirklich gehen.«
    Sie packte ihn am Arm.
    »Gehen Sie nicht.«
    Es lag nichts Liebkosendes in der Berührung – nur so etwas wie Verzweiflung.
    Er dachte: Wenn das wirklich eine Angewohnheit von ihr wäre, würde sie’s besser machen.
    »Wirklich«, sagte er, »wenn ich noch länger bliebe, würde es für Sie gefährlich.«
    »Darauf lasse ich es ankommen«, sagte sie.
    Eine leidenschaftliche Frau hätte das leidenschaftlich gesagt. Oder mit fröhlichem Trotz. Oder herausfordernd. Oder verführerisch. Oder geheimnisvoll.
    Sie sagte es wild entschlossen. Ihre Finger gruben sich in seinen Arm.
    Ach, hol’s der Kuckuck, dann lasse ich es jetzt darauf ankommen, dachte Wimsey. Ich will und muß wissen, was da eigentlich los ist.
    »Arme kleine Frau«, er versuchte in seine Stimme den heiseren, verspielten Klang zu legen wie jemand, der sich anschickt, einen liebestollen Narren aus sich zu machen.
    Er fühlte ihren Körper erstarren, als er den Arm um sie legte, doch sie gab einen leisen Seufzer der Erleichterung von sich.
    Plötzlich zog er sie heftig an sich und küßte sie mit geübter übertriebener Leidenschaftlichkeit auf den Mund.
    Dann wußte er Bescheid. Niemand, dem dergleichen je widerfahren ist, kann dieses erschrockene Schaudern verkennen, den unkontrollierbaren Widerwillen des Fleisches gegen eine ihm ekelhafte Liebkosung. Im ersten Augenblick hatte er sogar das Gefühl, sie müsse sich gleich übergeben.
    Er ließ sie behutsam los und richtete sich auf – in seinem Kopf drehte es sich, aber er triumphierte. Sein erster Instinkt war doch wieder einmal richtig gewesen.
    »Das war sehr ungezogen von mir«, sagte er unbekümmert. »Sie haben mich um den Verstand gebracht. Aber Sie verzeihen es mir, ja?«
    Sie nickte verzagt.
    »Und jetzt muß ich mich wirklich auf die Socken machen. Es wird schrecklich spät und so. Wo ist mein Hut? Ach ja, in der Diele. Also, auf Wiedersehen, Mrs. Forrest, und geben Sie gut auf sich acht. Haben Sie nochmals herzlichen Dank, daß Sie mir erzählt haben, was Ihr Freund gesehen hat.«
    »Sie wollen also wirklich gehen?«
    Sie sagte es in einem Ton, als gebe sie alle Hoffnung auf.
    Um Himmels willen, dachte Wimsey, was will sie eigentlich? Hat sie den Verdacht, daß Mr. Templeton nicht ganz derjenige ist, für den er sich ausgibt? Will sie, daß ich die Nacht bei ihr verbringe, damit sie einen Blick auf das Wäschezeichen in meinem Hemd werfen kann? Soll ich sie vielleicht aus dieser peinlichen Situation retten, indem ich ihr plötzlich Lord Peter Wimseys Visitenkarte überreiche?
    Sein Gehirn spielte mit diesem leichtsinnigen Gedanken, während er brabbelnd die Tür erreichte. Sie ließ ihn ohne weitere Worte gehen.
    In der Diele drehte er sich noch einmal um und sah sie an. Sie stand mitten im Zimmer und schaute ihm nach, und in ihrem Gesicht stand ein solches Inferno von Angst und Wut, daß ihm das Blut in den Adern gerann.

16
Ein gußeisernes Alibi
    O Sammy, Sammy, warum habt ihr kein Alibi?
    DICKENS: DIE PICKWICKIER
    Miss Whittaker und die jüngste Miss Findlater waren von ihrer Expedition zurück. Miss Climpson als getreuer Spürhund hatte gemäß Lord Peters brieflichen Instruktionen, die sie wie einen Talisman in der Rocktasche trug, die jüngste Miss Findlater zum Tee gebeten.
    Im Grunde hatte Miss Climpson sogar ein echtes Interesse an dem Mädchen entwickelt. Alberne Schwärmereien und Gefühlsergüsse sowie das papageienhafte Nachleiern des modernen Pennälerwortschatzes waren Symptome, die sie als erfahrene Jungfer sehr wohl verstand. Ihrer Meinung nach waren das Anzeichen für ein echtes Unglücklichsein, eine tiefe Unzufriedenheit mit der Enge des Lebens in einer ländlichen Kleinstadt. Darüber hinaus war Miss Climpson sicher, daß Vera Findlater sich von der hübschen Mary Whittaker so richtig »einseifen« ließ, wie sie es im stillen nannte. Es wäre ein Segen für das Mädchen, dachte Miss Climpson, wenn es eine ernsthafte Zuneigung zu einem jungen Mann fassen könnte. Für ein Schulmädchen mochte Schwärmerei ja etwas ganz Natürliches sein – bei einer jungen Frau von Zweiundzwanzig aber war es durchaus unerwünscht. Und diese Whittaker leistete dem

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