Lord Schmetterhemd im wilden Westen
Morgengrauen hatte es mich verlassen. Es schien mir besser, ihm
diesen Sonntag zur Erholung zu gönnen und es mit meinem Anblick zu verschonen.
Ich hoffte, es würde seinen sonntäglichen Kirchgang nicht versäumen. Gebet und
frommer Gesang mochten ihren beruhigenden Einfluß auf die zitternden Nerven
nicht verfehlen. Hatten sie dann erst wieder eine Nacht ruhig geschlafen, vom
Sonntag auf den Montag nämlich, sah die Welt vielleicht schon wieder besser
aus.
Vorsichtshalber
wartete ich freilich lieber dann doch noch bis zum Mittwoch.
Von
dieser Zeit auf Bloodywood-Castle ist nicht viel zu berichten. Onkel Berni und
Tante Turkie waren in der Spuknacht bald von der Verfolgung des Großen Koyoten
heimgekehrt. Sie zogen Onkel Rab aus dem geheimen Örtchen und nannten ihn
verächtlich einen Feigling. Das geschah jedoch, während ich mich ausschlief, so
daß ich von ihrer Unterredung nichts berichten kann. Ich weiß nur, daß Onkel
Rab versprach, sich zu bessern, und sich künftig mehr zusammenzunehmen.
Ich
selbst sparte nicht mit Vorwürfen, daß meine Vorfahren es doch sehr toll
getrieben hatten. Jedoch meinte Onkel Berni, daß sie erstens alle drei zu der
Zeit, zu der sie als leibhaftige Menschen auf der Welt wandelten, nicht so
zartbesaitet gewesen seien, wie die heutige Generation. Er sagte mir zweitens,
daß in ihrer jetzigen Lebensform (ich kann es nicht anders nennen, denn unsere
Sprache hat kein Wort für den Zustand, in dem sie sich befanden) ganz andere
Maßstäbe herrschten. Er sagte mir drittens, daß ich schließlich die Wette
gewonnen habe. Und er sagte mir viertens, daß meine Vorwürfe außerdem zu spät
kämen, denn alles sei vorüber und nichts mehr zu ändern. Und er sagte mir
fünftens, daß er damit das Gespräch beende.
Ich
mußte es also dabei belassen. Dennoch mieden wir uns einige Tage und gingen uns
aus dem Weg. Nach und nach verblaßte dann die Erinnerung an die
Gespensternacht, und das um so eher, als ich ja keinen großen Schrecken
ausgestanden hatte, sieht man einmal von dem Pistolenschuß und seiner Wirkung
ab. Am Mittwochmorgen machte ich mich endlich auf den Weg zu Mr. Coolwater. Ich
fuhr allein, ohne Begleitung, auf dem Hochrad. Es erschien mir nicht richtig,
Onkel Berni mitzunehmen, zu leicht hätte Coolwater in ihm ein Gespenst erkennen
können — oder zumindest eine Ahnung von seiner Mitwirkung bekommen. Dann
zweifelte er womöglich die Wette an.
Ich
radelte also durch die grünen, weiten Sumpfwiesen nach Seabridge, und die
sportliche Betätigung in freier Luft tat mir wohl. Ich schaukelte über das
Kopfsteinpflaster und legte mich bei der Einfahrt in den Hof von Mr. Coolwaters
Zimmerei kühn in die Kurve.
Ich
vermute, Mrs. Coolwater sah mich kommen, denn die Gardine im Wohnhaus bewegte
sich, gleich darauf wurde die Haustür zugeschlagen und der Schlüssel
herumgedreht.
So
oder so hätte ich es nicht schicklich gefunden, sie jetzt mit meinem Anblick zu
belästigen und einen Fuß über ihre Schwelle zu setzen.
Mr.
Coolwater jedoch verließ die Werkstatt. Er machte keine Anstalt, mich in eines
seiner Gebäude oder Büros zu bitten. Er wollte genau wie ich alles rasch hinter
sich bringen. Sein Gesicht war undurchdringlich.
Ich
sprang vom Hochrad, hielt ihm meine Hand hin und sagte: »Es tut mir leid, daß
Sie eine unangenehme Nacht in meinem Haus gehabt haben, Mr. Coolwater. Aber
geben Sie zu, daß ich Sie gewarnt habe, und daß Sie freiwillig gekommen sind .«
»Schon
gut, Mylord«, grollte er. »Ich gebe zwar gar nichts zu — aber Sie sollen Ihr
Schiff haben. Coolwater ist kein schlechter Verlierer, Wette ist Wette .«
»Obwohl
es nicht ausgemacht war, daß Sie mich erschießen !« antwortete ich.
»Ich
sehe, daß Sie noch leben«, brummte er. »Aufrichtig gesagt, darüber bin ich
froh. Das ist aber auch alles, worüber ich froh bin .« Und nun reichte er mir doch die Hand. Ich war recht erleichtert.
Dann
sagte Mr. Coolwater: »Ich war in den vergangenen Tagen nicht müßig. Es liegt
mir daran, Sie eine Weile nicht mehr zu sehen — zu schlechte Erinnerungen,
Mylord, auch für meine Lady — daß Sie nur recht schnell wegkommen! Mit meiner
ganzen Mannschaft habe ich nichts anderes gemacht, als Ihr Schiff in stand zu
setzen. Es liegt im Hafen, Mylord, Sie können es gleich besichtigen und in
Besitz nehmen !«
»Ausgezeichnet«,
rief ich froh. »Und Sie dürfen sicher sein, Mr. Coolwater, daß ich Ihnen den
Dampfer wohlbehalten wieder zurückbringe, eine angemessene Miete
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