Lord Schmetterhemd im wilden Westen
schwimmend das andere Ufer. Wir
verloren sie bald aus den Augen.
Wir
holten all die Gegenstände, die wir auf der Wiese zurückgelassen hatten, und
brachten sie auf das Schiff. Jetzt erst schlug Häuptling Blinde-Kuh die Augen
auf. Von dem kurzen Überfall hatte er, in tiefer Erschöpfung schlafend, nichts
wahrgenommen.
Bald
konnte er sich erheben und in der frischen Luft auf-
und abgehen. Er erlaubte mir, ihn zu fotografieren. Diese Aufnahmen sind noch
heute mein kostbarster Besitz.
Als
er seine Kräfte wiederkehren fühlte, hielt es ihn nicht mehr bei uns. Er wollte
uns verlassen. An einem milden Abend saßen wir im Kreis auf Deck und rauchten
die Friedenspfeife. »Ich bleibe in der Schuld meines weißen Bruders«, sagte der
Häuptling, während er den Rauch in alle vier Himmelsrichtungen blies. »Ich bin
aber genauso in der Schuld des alten Zirkuskünstlers und seiner fliegenden
Tochter .« Wir fühlten uns geehrt. Mir war feierlich
zumute. Nur das Kraut, das wir rauchten, war schauerlich, scharf und bitter.
Trotzdem entzückte Onkel Berni die Sitte des Friedenspfeifenrauchens. Sie fand
seinen vollen Beifall.
Häuptling
Blinde-Kuh erhob sich. Seine schlanke Gestalt zeichnete sich dunkel gegen den
blassen Abendhimmel ab. Er griff unter sein Lederhemd und reichte mir und
Zirkus-Joe je ein kleines Säckchen: »Goldstücke, Nuggets 22 «, sagte er. »Meine weißen Brüder werden sie
brauchen können. Ich habe genug davon !«
Ehe
wir ihm danken oder — was ich noch lieber getan hätte — das Geschenk ablehnen
konnten, war er verschwunden. Mit federnden Schritten eilte er über die
Landungsbrücke. Und schnell verschwand er in der Dämmerung.
Wir
sprachen von ihm noch lange.
Doch
am nächsten Morgen dampften wir endlich weiter. Ich freute mich darauf, wieder
unter Menschen zu kommen, unter fremde Menschen — in einem fremden Land — mit
fremden Sitten.
Nach
zwei Tagen ruhiger Fahrt erreichten wir Western-Town. Einige Holzhütten am
linken Ufer kündigten die Stadt an. Sie selbst bestand auch aus nichts anderem
als aus einer Ansammlung willkürlich errichteter Holzhäuser, von denen keines
mehr als zwei Stockwerke hatte, nämlich ein Erdgeschoß und eine erste Etage.
Jeder kennt wohl diese Siedlungen — einige Kaufläden, ein Hotel, einen Saloon 23 mit den wippenden Pferdestalltüren, eine Bank,
ein Postamt und das Büro des Sheriffs. Einige Balkone an den Häusern, unten
entlang der Straße offene Veranden — und die Straße selbst in einem
erbärmlichen Zustand. Schlagloch an Schlagloch, bei Regen abgrundtiefer
Schlamm, in der Hitze wirbelnder Staub.
Unsere
Fliegende Wolke dampfte zur Anlegestelle des kleinen Hafens. Alles lief
zusammen, als das bunte Schiff mit den mächtigen Schaufelrädern und dem
qualmenden Schornstein einfuhr. Übereifrig half man uns, den Dampfer
festzumachen. Ich hatte meine lieben Verwandten schon vorher in ihren Kabinen
gebeten: »Da ich euch nicht verstecken kann, haltet bitte wenigstens den Mund !« Onkel Berni brummte zwar: »Wir werden es versuchen«, war
aber nicht zu bewegen, die Pfeife aus dem Maul zu nehmen. Auch Onkel Rab setzte
seinen abscheulichen Strohhut betont keck auf die Ohren, und Tante Turkie
klimperte mit der Kette ihrer Stielbrille.
Zirkus-Joe
wurde mit beifälligen Zurufen begrüßt. Man kannte ihn hier. Mir war das lieb.
Denn nun erschienen Tante Turkie, Onkel Berni und Onkel Rab an Deck und
stolzierten über den Steg an Land. Nach einer kurzen Pause der Verblüffung
erhob sich ein ohrenbetäubender Lärm, Gelächter, ein Toben. Zirkus-Joe lehnte
sich breit auf das Geländer und grinste hinüber. Man fragte ihn: »Sind die
Viecher deine neueste Attraktion ?« Und er antwortete
mit einem undeutlichen »Ehem !« , das alles heißen
konnte. Was es mit meinen Tieren auf sich hatte, verstand er ja auch nicht.
Mir
aber war es recht, daß man sie für Mitglieder seines Zirkusses, für seine
Menagerie hielt. Da blieb ich vorläufig von Fragen verschont, die zu
beantworten äußerst schwierig gewesen wäre.
Ich
regelte im Hafen so rasch wie möglich alles, was noch zu erledigen war. Kisten und
Kasten, unsere Reisetaschen und alles Gepäck wurden ausgeladen. Es fand sich
ein ortsansässiger Bootsbauer, der die Fliegende Wolke so lange in Obhut nehmen
wollte, bis ich sie wieder brauchte.
Ankunft
Im
Menschengewimmel der Anlegestelle, zwischen Fässern und Holzstapeln, bot mir
ein freundlicher Farmer an, uns und das Gepäck ins Hotel zu fahren. Gern sagte
ich
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