Lord Schmetterhemd im wilden Westen
Western-Town. 18 Leider führte diese Kutsche Lohngelder mit sich, kurz und gut, plötzlich
krachte es, und unser Kutscher fiel vom Bock wie ein nasser Sack. Alles ging
sehr schnell, wissen Sie. Ein Mann mit einer schwarzen Binde, den wir nicht
erkennen konnten, scheuchte uns aus dem Wagen. Wir durften noch Gott danken,
daß er uns nicht auch gleich umlegte. Er schirrte die Kutschenpferde ab und
trieb sie in den Wald. Er schnappte sich den Sack mit den Lohngeldern. Er war
schon wieder im Sattel, da eilte uns dieser rothäutige Gentleman 19 zu Hilfe. Er trat aus dem Wald, die Büchse im
Anschlag, und hätte den Räuber wohl gefangen, wenn er nicht von hinten
angesprungen und zu Boden geworfen worden wäre. Gleich darauf knallte der Schuß
des Gauners. Er traf den Indianer in die Schulter. Den Spießgesellen im Gebüsch
hat niemand zu Gesicht bekommen .«
»Sehr
heimtückisch, wahrhaftig«, unterbrach Onkel Rab den kurzen Bericht. »Wenn der
zweite Gauner nicht ein Mensch war, dann tippe ich auf den Großen Koyoten !«
»Ekelhafter
Wilder Westen«, zeterte Tante Turkie, während sich Onkel Berni darauf
beschränkte, etwas Drohendes zu brummen.
Mir
schien, als ob Little-Byrd meine drei sonderbaren Begleiter mit immer
freundlicheren Blicken ansah. Zirkus-Joe jedoch runzelte die Stirn und
flüsterte mir zu: »Wundere mich schon die ganze Zeit, Mister’. Habe Ähnliches
noch nie gesehen oder erlebt. Bin dagegen ein
Waisenknabe, obwohl ich auch allerhand auf dem Kasten habe. Hoffe, wir können
uns vielleicht zusammentun...«
Meine
Vorfahren in Tiergestalt musterten ihn sichtlich belustigt. Doch ich lenkte
schnell von diesem Thema ab und bat Zirkus-Joe, seine Geschichte zu beenden.
»Da
ist nicht mehr viel zu sagen«, meinte er. »Die Gauner verschwanden mit den
Lohngeldern, den Indianer ließen sie einfach liegen, dachten wohl, sie hätten
ihn mausetot geschossen, ratzekahl abgemurkst. Und wir standen da, mit all
unserem Gepäck und einer Kutsche ohne Pferde. Jetzt — was tun? Die Kutsche
fährt doch nur alle acht Tage. Keine Hoffnung auf Hilfe. Mußte mir schon selbst
was einfallen lassen. Untersuchte erst den Indianer und sah, daß er noch lebte.
Wußte — kenne nämlich die Gegend wie meine Westentasche — wußte, daß der Fluß
nahe bei der Straße vorbeirauscht, und weiß ebenfalls, daß viel öfter einmal
ein Boot hier aufkreuzt als ein Gefährt auf der Straße. Also schleppten wir
alles Gepäck, den Indianer und uns selbst hierher. Und glücklicherweise sind
Sie ja auch bald herbeigedampft .«
»Sie
haben äußerst ehrenwert gehandelt«, sagte ich und reichte ihm die Hand. Mir war
klar, daß es für ihn sehr viel einfacher gewesen wäre, den verwundeten Indianer
liegen und verbluten zu lassen, statt sich mit ihm zu belasten.
Tante
Turkie meinte: »Man muß sich um ihn kümmern .« Sie
schritt in die Kabine hinab.
»Gute
Krankenschwester, dieser Truthahn !« erklärte
Zirkus-Joe voller Anerkennung.
»Truthenne«,
verbesserte ich ihn.
Onkel
Rab ließ kein Auge von der reizenden Little-Byrd, was ja weiter nicht
ungewöhnlich bei seiner Schwäche für das weibliche Geschlecht war. Doch auch
Onkel Berni sah die Kleine wohlgefällig an, schmauchte gelassen seine Pfeife,
stieß weiße Rauchkringel aus und sprach das hübsche Kind dann an: »Liebe
Missis... ehem... sind Sie nun schon ein Fräulein oder noch ein Kind ?«
»Ich
bin siebzehn Jahre«, antwortete sie freundlich.
»Sweet
Seventeen 20 — Süße Siebzehn !« seufzte Onkel Rab. Er rollte die Augen verzückt gen
Himmel, was Onkel Berni — bei aller Sympathie für Little-Byrd — zu dem Tadel
»Schmachtfetzen !« veranlaßte. Little-Byrd lachte.
Ich
möchte hier eine Bemerkung einflechten. Wie man weiß, kennen wir in unserer
englischen Muttersprache keinen Unterschied zwischen den Anreden >Sie<
und >Du<. Der geneigte Übersetzer dieses Berichtes möge bitte von nun an
das >Du< verwenden, soweit es Little-Byrd betrifft. Es entspricht mehr
unserer sich entwickelnden Freundschaft.
In
diesem Sinne fragte Onkel Berni sie also: »Und wie kommst du in diese
verlassene Gegend ?«
Leider
konnte sie uns nicht antworten, denn Tante Turkie flatterte die Treppe empor,
sie kam aus der Tür, die in den Schiffsrumpf hinabführte: »Kommt«, rief sie
energisch, »die Rothaut schlägt die Augen auf !«
»Wußte
ich’s doch !« Cookie Pott war höchst befriedigt.
Wir
wollten alle zu unserem Patienten hinab. Doch meinte Cookie: »Er braucht noch
Ruhe — ich
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