Lord Schmetterhemd im wilden Westen
zu, weniger weil ich den Fußweg scheute, als vielmehr, weil meine
Tierverwandten auf dem Fahrzeug vor neugierigen Blicken einigermaßen geschützt
waren.
Freilich,
all meinen Einfluß mußte ich geltend machen, Onkel Rab daran zu hindern, den
kräftigen braunen Gaul zu erklettern. Cookie fand, ich hätte ihn in diesem
Augenblick ungewöhnlich wütend angefunkelt.
Endlich
waren alle im Wagen untergebracht, und ich wollte mich neben den Fahrer auf den
Bock schwingen, da zupfte mich eine Zigeunerin am Ärmel. Ihre schwarzen Haare
hingen wirr, aber eindrucksvoll in ein zerfurchtes, dunkles Gesicht, ihre Augen
glichen Kohlestückchen, und ihre Kleidung war die malerischste, die ich jemals
erblickt hatte. Welch ein Fotomodell! — Aber noch größer als der Wunsch, sie zu
fotografieren, war meine Besorgnis, meine Vorfahren zu verbergen und die Tür
eines Zimmers hinter ihnen zu schließen. Ehe ich mich auf vornehme Art der
Zudringlichen erwehren konnte, hatte sie schon meine rechte Hand gepackt und
die Fläche nach oben geöffnet. »Ah« — rief sie — »mein Herr. Ihrer erwarten hier großer und gefährlicher Abenteuer. Sehe ich
einen Feind, und noch einen! Vieles Feindes!« Eifrig fuhr der Nagel ihres
Zeigefingers auf meinen verzweigten Handlinien entlang, und die Glasperlen
ihrer zahlreichen Ketten klimperten. »Oh, aber auch Goldes ich erblicke, vieles
Goldes, Schätzen und gutes Freundes. Oh oh oh, — noch niemals ich erblickt habe
Ähnliches! Madonna!« Sie schlug ängstlich drei Kreuze und sah mich scheu an.
»Madonna! Geister... Gespenster... abgeschiedenes Seelens...«
Jetzt
hatte ich genug von ihrer Wahrsagerei. Womöglich verriet sie noch alle meine
Geheimnisse. Ich reichte ihr ein Geldstück und sprang auf den Bock. Der Fahrer
knallte mit der Peitsche, das Pferd ruckte an, und Tante Turkie kollerte
empört: »Aufdringliches Pack! Wie lange mag sie wohl kein Wasser und keine
Seife gesehen haben !«
»Zirkusleute
und Zigeuner, beide sind fahrendes Volk !« wies
Zirkus-Joe sie mit ernstem Tadel zurecht.
Der
Wagen stieß und ratterte. Ich hatte Mühe, nicht herunterzufallen und dabei eine
würdevolle Haltung zu bewahren. Auffällig war die Schweigsamkeit unseres
Farmers. Mir schien, daß ihn irgend ein Kummer
bedrückte. Auch hatte er deutlich aufgemerkt, als die Zigeunerin von
>Gespenstern< gesprochen hatte. Jetzt aber blickte er nur unter
ungewöhnlich buschigen Augenbrauen geradeaus und entschuldigte sich einmal —
mit der Peitsche auf die Schlaglöcher weisend — für den miserablen
Straßenzustand: »Eine Schande! Hier liegt vieles im argen .
Aber wenigstens kriegen wir morgen wieder einen Sheriff. Das ist schon etwas
wert, nach so langer Zeit !«
Ich
dachte mir zwar, daß ein rechter Sheriff wohl kaum Schlaglöchern seine
Beachtung schenken würde, wenigstens nicht denen auf Straßen und Wegen. Eher
solchen, die durch eine kräftige Ballerei verursacht worden waren.
Wir
kamen an vielen zweistöckigen Holzhäusern vorbei. Überall blieben die Leute
stehen, um einen Blick auf unser Fahrzeug zu werfen. Dann fuhren wir über einen
Platz, in den mehrere Straßen mündeten. In seiner Mitte erhob sich ein kahler,
knorriger, völlig entlaubter Baum, dessen mächtige Zweige nach allen Seiten in
den Himmel griffen. Ein düsteres Bild, bei dessen Anblick ich ein Schaudern
nicht unterdrücken konnte.
»Der
Galgenbaum! Hier werden die Gauner erhängt«, erklärte unser Fahrer. »Aber ich
sag’ ja — zu lange kam schon keiner mehr zu der Ehre. Na, wird ja jetzt wohl
bald anders werden. Übrigens — er heißt Galgenbaumplatz, dieser hübsche Ort. An
Sonn- und Feiertagen trifft sich hier die ganze Stadt. — So, und da ist Ihr
Hotel .«
Das
Gebäude machte keinen üblen Eindruck. Die Fenster blinkten freundlich und
frisch geputzt, im ersten Stockwerk befand sich ein Balkon, der, von zwei
eisernen Säulen gestützt, die Eingangstür überdachte.
Wir
fuhren vor, der Fahrer zügelte sein Roß. Cookie machte sich sofort ans Ausladen
des Gepäcks. Zirkus-Joe half Little-Byrd väterlich herab — und meine drei
sonderbaren Vorfahren stolzierten zu dritt über die Schwelle.
Da
ertönte ein wütender Schrei im Innern: »Viecher raus !« Ich eilte hinein, das Schirmgewehr über dem Arm hängend, den Zylinder auf dem
Kopf.
»Mein
Herr...« rief ich.
»Ins
Stroh«, zeterte der aufgebrachte Inhaber des gastlichen Hauses. Ich konnte ihn
verstehen, befanden sich doch in der Halle
Sitzgelegenheiten, die mit grünem
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