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Lord Schmetterhemd im wilden Westen

Lord Schmetterhemd im wilden Westen

Titel: Lord Schmetterhemd im wilden Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Kruse
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selbst bekamen
wir heute auch nicht wieder zu Gesicht. Hoffentlich waren wir ihr nicht allzu
unheimlich geworden!
    Übrigens
erwies es sich, daß Zirkus-Joes Befürchtungen grundlos waren. Es kamen mehr
Menschen, als er erwartet hatte, ich vermute, nicht nur aus der Stadt, sondern
auch von den umliegenden Farmen und Dörfern. Möglich, daß die wildesten
Gerüchte durch die Luft geschwirrt waren und sie angelockt hatten.
    Zirkus-Joe
selbst hatte offenbar wirklich eine Bärennatur. Gründlich ausgeschlafen,
erschien er schon früh am Morgen frisch und tatkräftig auf dem Platz.
    Heute
knallte die Sonne vom Himmel. Sie spiegelte sich in allen Fensterscheiben. Und
Zirkus-Joe traf seine Vorbereitungen. Er spannte ein Drahtseil von der Brüstung
meines Balkons schnurgerade hinüber zum Galgenbaum, ungefähr fünf Meter über
dem Boden. Und an dieses Seil hing er, in gleichmäßigen Abständen (wie Wäsche
zum Trocknen) Little-Byrds zertanzte Ballettschuhe — fünfzig an der Zahl. Ich
fand, es war ein reizender Anblick, und beeilte mich, ihn zu fotografieren. Und
weil das Hotel einen so malerischen Hintergrund abgab, erbat ich mir von dem
Besitzer des gegenüberliegenden Hauses den Platz an seinem oberen Fenster. Von
dort wollte ich mit Cookie und meinen Vorfahren der Vorführung zuschauen.
Einerseits konnte ich währenddessen fotografieren, andererseits waren meine
Vorfahren hinter den Vorhängen so gut zu verbergen, daß sich nicht dauernd alle
Köpfe nach ihnen umdrehen würden. Die Leute sollten Zirkus-Joe und Little-Byrd
sehen, nicht uns.
    Der
Platz also füllte sich schon früh, bis auf den Raum, der gewissermaßen als
Manege diente. Kopf an Kopf standen Männer und Frauen. Kleine Kinder ritten auf
den Schultern ihrer Eltern. Wir fünf — nämlich Cookie, ich und meine erlauchten
Ahnen — bemerkten sehr bald auch Mrs. Millers rotes Tuch. Da konnte ich Onkel
Rab kaum zurückhalten, das Fenster aufzureißen und hinunterzugrüßen.
    »Du
würdest Little-Byrd weh tun !« erklärte ich ihm voller
Überzeugung.
    Er
blinzelte erstaunt und fragte: »Du glaubst doch nicht, daß sie eifersüchtig
wäre ?« Seine Augen funkelten vor Stolz. Tante Turkie
klopfte ihm mit der Kralle auf die Schulter: »Schnapp bloß nicht über !«
    Onkel
Berni rauchte und ließ kein Auge von der Menge. Er war ganz Aufmerksamkeit und
murmelte: »Sollte mich wundern, wenn der Tödliche Colt und der Große Koyote
nicht hinter irgendeiner Ecke lauerten .«
    »Die
trau’n sich nicht !« rief Onkel Rab großspurig.
    Da
doch immer wieder einige Blicke zu uns emporwanderten, ordnete Tante Turkie die
Kette ihrer Stielbrille vor dem mageren, schlackernden Truthennenhals — als sei
es die Perlenkette einer Fürstin.
    Da
erklang Ziehharmonikamusik. Zirkus-Joe sprang in die Manege — als Clown
verkleidet. Auf dem Rücken trug er eine Pauke, deren Schlegel mittels einer
Schnur mit dem rechten Fuß verbunden war. So musizierte er und schlug
gleichzeitig den Takt. Er stampfte hüpfend im Kreis herum und machte allerhand
Faxen, mit denen er die Kinder vergnügte. Seine Nase leuchtete rot wie eine
Tomate. An den Händen flatterten viel zu weite Handschuhe, ich wunderte mich,
daß er trotzdem einigermaßen richtige Töne produzierte. Und seine Schuhe waren
ebenso groß, wahre Entenfüße. Sie gaben ihm einen watschelnden Gang. Grün
wucherten seine künstlichen Haare unter dem melonenförmigen Hut. Sein Gesicht
war weiß gepudert.

    Nach
der musikalischen Einleitung legte er die Instrumente ab, rannte wie
aufgescheucht herum, stelzte urkomisch, stolperte über seine Füße, schlug hin —
ließ schließlich seine weite Hose herabrutschen, bis sie um seine Knöchel hing
— da wurde der Jubel der Kinder lauter und lauter.
    Ich
freute mich, daß er trotz unserer Anwesenheit sein Publikum so fesselte.
    Jetzt,
mit der schlotternden Hose um die Füße, spielte er wohl zum ersten Mal eine neue
Szene, die er sich ganz schnell ausgedacht haben mußte. Er sprang auf einen
Stuhl, wackelte mit den Knien, stöhnte und piepste übertrieben und stammelte:
»O, o, o — ich bin der Tödliche Colt — und laufe vor einem Regenschirm davon .« Und damit man die Anspielung auf unseren Zusammenstoß im
Hotel beim Frühstück auch ja verstand, bellte er wie ein Bernhardiner und
kollerte wie ein Truthahn.
    Man
lachte, man klatschte — und er fegte davon, den Stuhl an der Lehne hinter sich
herziehend.
    Ich
aber murmelte: »Mir ist nicht wohl bei diesem Scherz !« Ganz zufällig

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