Lord Stonevilles Geheimnis
Schlafen war nicht zu denken. Es war zwecklos, so zu tun, als wäre es nicht passiert. Sein Geruch haftete ihrem Nachthemd an, und sie sah immer wieder vor sich, wie er sie mit seiner grenzenlosen Begierde überwältigt hatte.
Ihr kamen die Tränen. Da lag sie nun in ihrem Himmelbett, umfangen vom zauberhaften Charme des alten Landguts, und weinte sich die Seele aus dem Leib.
Als ihre Tränen endlich versiegten, starrte sie in das verglühende Feuer und erinnerte sich daran, wie Oliver vor dem Kamin gestanden und ihr von der unglückseligen Ehe seiner Eltern erzählt hatte. Er hatte so verzweifelt geklungen. Nach allem, was er ihr gesagt hatte, wie konnte er sich da selbst auch für eine Geldheirat entscheiden?
Sie dachte daran, wie er in der Jagdhütte seine tote Mutter in den Armen gehalten hatte, und erschauerte. Als er ihr die Tragödie geschildert hatte, hatte sie die ganze Zeit das Gefühl gehabt, er verheimliche ihr etwas.
Seine Mutter sei »wegen eines Vorfalls« wütend auf seinen Vater gewesen, hatte er gesagt. Was hatte er damit gemeint? Maria war sicher, dass an jenem Abend mehr passiert war, als Oliver ihr gesagt hatte.
Sie konnte nachvollziehen, dass er sich nach dem Tod seiner Eltern für eine Weile in ein sinnentleertes Leben geflüchtet hatte – aber neunzehn Jahre lang?
Sie wurde einfach nicht schlau daraus. Sie wurde nicht schlau aus ihm . Sie war es leid, sich immer wieder um Verständnis für ihn zu bemühen. Und sie war besorgt wegen ihrer wachsenden Zuneigung zu ihm. Sah sie vielleicht mehr in Oliver, als er war? War er im Grunde seines Herzens doch nur ein Verführer und Lüstling, der sich niemals ändern würde?
Sie wollte es nicht glauben. Doch da Nathan sie sitzen gelassen hatte, war es mit ihrem Urteilsvermögen in Bezug auf Männer offensichtlich nicht weit her. Deshalb war sie unsicher, ob sie sich auf ihren Instinkt verlassen konnte, was Oliver anging. Vor allem weil er sie mit seinen ungestümen, entschlossenen Verführungen jedes Mal vollkommen verwirrte.
Gegen Morgengrauen fiel Maria in einen unruhigen Schlaf. Als sie aufwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Am liebsten wäre sie den ganzen Tag im Bett liegen geblieben, allein mit ihrem Leid, aber das wagte sie nicht. Es würde den anderen auffallen. Was immer sie tat, sie musste das, was in der vergangenen Nacht geschehen war, vor ihnen geheim halten.
Sie rief nach Betty, um sich beim Ankleiden helfen zu lassen, und betete, dass ihr die Unkeuschheit nicht ins Gesicht geschrieben stand. Betty wollte natürlich wissen, wie es auf dem Ball gewesen war und wie Seine Lordschaft auf ihr herrliches Kleid reagiert hatte, aber nach ein paar einsilbigen Antworten merkte sie, dass Maria nicht zum Reden aufgelegt war, und ließ sie in Ruhe.
Es war bereits früher Nachmittag, als sie endlich passabel genug aussah, um dem Rest der Familie gegenüberzutreten. Als sie die Treppe hinunterging, hörte sie Celia in der Eingangshalle sagen: »Was machen Sie denn hier, Mr Pinter?«
Marias Herz setzte einen Schlag aus.
»Wie ich Ihrem Diener bereits sagte, Lady Celia, möchte ich Miss Butterfield sprechen.«
»Ich wüsste nicht, aus welchem Grund.«
»Sie hat mich mit der Suche nach ihrem Verlobten beauftragt.«
»Seien Sie doch still, Sie Narr«, zischte Celia ihm zu, als Maria den Treppenabsatz erreichte. »Meine Großmutter weiß nichts davon.«
»Das kümmert mich nicht«, entgegnete Mr Pinter schroff. »Und ich beteilige mich gewiss nicht an dem zweifelhaften Spiel, das Sie und Ihr Bruder treiben. Ich möchte einfach nur mit Miss Butterfield sprechen.«
»Hier bin ich, Mr Pinter«, rief Maria und eilte die letzten Stufen hinunter. Sie schaute von Celia, die ganz gegen ihre Gewohnheit errötet war, zu Mr Pinter, der noch steifer wirkte als sonst. »Ich wusste nicht, dass Sie beide sich kennen.«
Celia warf den Kopf in den Nacken. »Vor ein paar Monaten ist Mr Pinter bei einem Wettschießen aufgetaucht, das ich im Begriff war zu gewinnen. Er war äußerst unhöflich und hat es beendet, bevor ich meinen Preis erlangen konnte. Das werde ich ihm nie verzeihen!«
»Sie haben die Begebenheit ganz anders in Erinnerung als ich, Lady Celia. Sie waren keineswegs im Begriff zu gewinnen. Der Wettkampf hatte ja kaum begonnen.« Er trat näher an die junge Frau heran, und in seinem sonst so unbeweglichen, ausdruckslosen Gesicht zeigte sich Verärgerung. »Und Sie wissen nur zu
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