Lord Stonevilles Geheimnis
war, einige Wochen im Zuchthaus zu überstehen, aber sie war sicher, dass Freddy nicht einen einzigen Tag dort überleben würde.
Ach was, nicht mal eine Stunde.
Dennoch widerte sie die Vorstellung an, sich von diesem adeligen Rüpel erpressen zu lassen. »Sie wissen ganz genau, dass wir keine Diebe sind. Sie könnten für uns bürgen, wenn Sie nur wollten. Die anderen würden glauben, was immer Sie ihnen sagen.«
Er kniff die Augen zusammen. »Und warum sollte ich das tun? Was hätte ich davon?«
»Die Befriedigung, dass Sie das Richtige getan haben.«
»Sie sind wirklich von einer entzückenden Naivität«, entgegnete er.
»Sie besitzen also keine Moral?«, entrüstete sie sich.
»Nein.«
Er gab es auch noch zu! Ohne das geringste Schamgefühl! Doch sie ließ sich nicht beirren. »Sie haben mir gesagt, Sie würden uns gehen lassen, wenn Sie davon überzeugt seien, dass wir uns nicht des Diebstahls schuldig gemacht hätten. Sie haben es bei Ihrer Ehre als Gentleman geschworen.«
Er lehnte sich gegen die Tür und verschränkte die Arme vor seiner recht beeindruckenden Brust. »Zu Ihrem Pech habe ich keine Ehre, und als Gentleman kann man mich auch nicht unbedingt bezeichnen.«
Seine Unbekümmertheit empörte sie über die Maßen. »Ich hätte Ihnen das Schwert in den Hals rammen sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte!«
Ihre Worte schienen ihn jedoch nur zu amüsieren. »Aber dann wären Sie höchstwahrscheinlich gehängt worden. Und um eine hübsche Frau wie Sie wäre es doch schade gewesen.«
Es schmeichelte zwar ihrer Eitelkeit, dass er sie hübsch nannte, doch auf so etwas fiel sie nicht herein. Solche Dinge sagte er wahrscheinlich ständig zu Frauen. »Kein Wunder, dass Ihre Großmutter an Ihnen verzweifelt! Und Gott allein weiß, was für eine Plage Sie für Ihre armen Eltern sind.«
Seine Miene wurde schlagartig ernst. »Leider sind meine Eltern zu tot, um sich allzu große Gedanken um mein Benehmen zu machen.«
Seine Antwort klang flapsig, doch sein schmerzerfüllter Blick sprach eine andere Sprache. »Bitte verzeihen Sie mir«, sagte sie hastig und verfluchte ihr lockeres Mundwerk. »Es ist schrecklich, seine Eltern zu verlieren. Niemand weiß das besser als ich.«
»Sie müssen sich nicht entschuldigen.« Er löste sich von der Tür. »Meine Eltern sind an mir verzweifelt, lange bevor sie starben, also haben Sie so falsch gar nicht gelegen.«
»Trotzdem, es stand mir nicht zu, Sie …«
»Lassen Sie es gut sein, Miss Butterfield, das hat alles nichts mit meinem Vorschlag zu tun. Wollen Sie nun meine Verlobte spielen oder nicht?« Als sie zögerte, sagte er verärgert: »Ich verstehe nicht, warum Sie so ein Getue machen. Ich verlange doch nichts Boshaftes von Ihnen!«
Diese unglaubliche Aussage vertrieb augenblicklich das Mitgefühl, das sie einen Moment lang verspürt hatte. »Sie verlangen, dass ich lüge! Dass ich um Ihrer wie auch immer gearteten Absichten willen jemanden täusche. Es verstößt gegen jedes moralische Prinzip …«
»Einen Mann mit dem Schwert zu bedrohen etwa nicht?« Er schenkte ihr ein kleines Lächeln. »Betrachten Sie es als eine Rolle, die Sie spielen – wie eine Schauspielerin. Sie und Ihr Vetter werden ein paar Wochen auf meinem Gut zu Gast sein und können tun und lassen, was Ihnen beliebt.« Ein ominöses Funkeln lag in seinen Augen. »Ich kann sogar ein Bildnis von mir aufstellen lassen, auf das Sie nach Herzenslust einstechen können.«
»Das klingt in der Tat verlockend«, gab sie zurück.
»Und unser lieber Freddy kann dort reiten und jagen und mit meinen Brüdern Karten spielen. Das ist allemal unterhaltsamer, als im Zuchthaus zu sitzen.«
»Solange Sie mir zu essen geben«, sagte Freddy, »folge ich Ihnen überallhin.«
»Freddy!«, rief Maria entgeistert.
»Was? Das verfluchte Gasthaus, in dem wir wohnen, ist völlig verfloht und kalt wie die Brust einer Hexe. Außerdem sitzt du förmlich auf der Reisekasse, sodass ich völlig ausgehungert bin. Was ist falsch daran, diesem Mann zu helfen, wenn wir dadurch endlich in anständigen Betten schlafen können? Und es ist doch keine große Sache, wenn du so tust, als wärst du mit ihm verlobt.«
»Ich bin schon verlobt, vielen Dank«, erwiderte Maria schnippisch. »Und was ist mit Nathan? Während wir der armen Großmutter dieses Mannes etwas vorgaukeln, könnte er sich in ernsten Schwierigkeiten befinden! Vielleicht ist ihm
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