Lord Stonevilles Geheimnis
anstellte, dass sich ihr Blick vor Erregung verschleierte und sie bebend vor Lust ihren süßen Mund …
Er stöhnte leise. Er hätte nicht so weit gehen dürfen. Er hatte ihr Angst gemacht, und ihm machte es wiederum Angst, wie er auf sie reagierte. Denn er würde einiges dafür geben, noch einmal mit ihr allein sein zu können. So etwas hatte er noch nie für eine Frau empfunden.
Freddy redete immer noch ohne Unterlass auf ihn ein, doch plötzlich drang ein Wort an sein Ohr, das ihn aufhorchen ließ.
»Was haben Sie gerade gesagt?«, fragte er.
»Das Beefsteak hätte etwas besser gesalzen sein können …«
»Davor, meine ich.«
»Oh, ach so. Da war ein Mann im Club, der behauptete, Ihr Vetter zu sein. Mr Desmond Plumtree, wenn ich mich recht erinnere.«
Oliver fragte sich bestürzt, wie es sein konnte, dass dieser exklusive Club Desmond als Mitglied aufgenommen hatte. Bedeutete das etwa, dass der Dreckskerl es schlussendlich geschafft hatte, von der Gesellschaft akzeptiert zu werden?
»Aber ich muss schon sagen«, fuhr Freddy fort, »wenn man Angehörige wie ihn hat, braucht man keine Feinde mehr. Was für ein unverschämter Kerl! Er hat mir eine Menge Blödsinn erzählt. Dass Sie Ihren Vater getötet hätten und jeder es wüsste und so weiter.« Freddy rümpfte die Nase. »Ich habe ihm gesagt, er sei ein niederträchtiger Flegel, und dass er blind wie ein Ausrufer ohne Laterne sein müsse, wenn er nicht erkennen könne, dass Sie ein guter Kerl sind! Und dass er unter den freundlichen Gentlemen im Blauen Schwan eigentlich gar nichts zu suchen habe!«
Oliver war einen Augenblick lang völlig sprachlos. Er konnte nur ahnen, wie Desmond auf diese kleine Standpauke reagiert hatte. »Und … äh … was hat er gesagt?«
»Er sah überrascht aus, dann hat er etwas von einem Kartenspiel gemurmelt und sich aus dem Staub gemacht. Gott sei Dank, muss ich sagen, denn er war im Begriff, die ganzen Makronen aufzuessen.«
Oliver starrte Freddy mit offenem Mund an, dann fing er an zu lachen.
»Was ist denn so komisch?«
»Sie und Maria – gebt ihr Amerikaner denn gar nichts auf Gerüchte?«
»Doch, schon, wenn sie einen Sinn ergeben. Aber was er gesagt hat, war doch Unsinn. Wenn jeder wüsste, dass Sie Ihren Vater umgebracht haben, dann wären Sie inzwischen längst gehängt worden. Da Sie aber noch hier in dieser Kutsche sitzen, können Sie es nicht getan haben.« Freddy tippte sich an die Stirn. »Das sagt einem doch der Verstand!«
»Natürlich«, erwiderte Oliver, »der Verstand.« Plötzlich hatte er einen Kloß im Hals. Dass Maria ihn verteidigt hatte, war eine Sache. Sie war eine Frau und hatte ein weiches Herz – obwohl sich andere Frauen dadurch nicht abhalten ließen, über ihn herzuziehen.
Doch dass ihn ein beeinflussbarer Grünschnabel wie Freddy verteidigte … Er wusste nicht, ob er über seine Naivität lachen oder ihm auf die Schulter klopfen und ihn ebenfalls einen »guten Kerl« nennen sollte.
Als sie vor Mrs Tweedys Geschäft anhielten, schaute Freddy aus dem Fenster. »Oh, sehen Sie nur!«, sagte er. »Mopsy ist anscheinend schon fertig. Gott sei Dank!«
Oliver kniff die Augen zusammen. Entweder war »Mopsy« nicht so wählerisch wie andere Frauen, oder irgendetwas war nicht in Ordnung.
Nachdem sie aus der Kutsche gestiegen waren, fand er bei einem kurzen Gespräch mit der Ladeninhaberin heraus, dass Maria die neuen Kleider im Tausch gegen ihre Trauerkleidung erworben hatte. Also hatte sie ein viel zu kleines Budget zur Verfügung gehabt. Er hatte zwar Verständnis für ihren Stolz, aber man konnte alles übertreiben.
»Meine Verlobte ist noch nicht mit ihren Einkäufen fertig«, sagte er zu Mrs Tweedy. »Zur Vervollständigung ihrer Garderobe fehlt noch einiges.«
»Oliver, bitte«, zischte Maria ihm zu und nahm ihn beiseite. »Die Leute werden denken …«
»Dass ich es mir leisten kann, meine Verlobte anständig einzukleiden? Das hoffe ich doch sehr.« Er brachte das einzige Argument vor, das sie möglicherweise überzeugen konnte. »Andernfalls werden die Leute nämlich denken, ich wäre noch höher verschuldet, als gemunkelt wird. Aber wenn Sie Spaß daran haben, dass über mich getratscht wird …«
»Natürlich nicht!«, rief sie, dann senkte sie mit einem verstohlenen Blick in Richtung der Ladeninhaberin ihre Stimme. »Aber ich will nicht noch mehr in Ihrer Schuld stehen, als es bereits der Fall ist.«
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