Lord Stonevilles Geheimnis
»Jetzt klingen Sie schon wie Pinter!«
Sie sah ihn betroffen an. »Tut mir leid, ich wollte nicht …«
»Ich schulde Ihnen ein paar Kleider«, unterbrach er sie. »Aber Sie sind mir gar nichts schuldig, zumal Pinter mir für seine Dienste nichts berechnen will.« Außerdem wollte er sie gut gekleidet sehen – am besten in einem zu ihren schönen blauen Augen passenden lavendelblauen Kleid mit einem schicklichen Dekolleté, das sie nicht mit einer albernen Pelerine zu verdecken genötigt sah.
Aber das konnte er ihr natürlich nicht sagen. Es würde sie nur erschrecken.
»Es würde mir doch niemand glauben, dass ich mich mit einer schlecht gekleideten Frau verlobt habe«, fuhr er fort. »Wir müssen den Schein wahren. Ich hatte angenommen, Großmutter würde schon am ersten Abend klein beigeben, als ich Sie als … eine sehr spezielle Frau hingestellt habe, doch damit lag ich falsch. Aber wenn sie sieht, dass ich Geld für Sie ausgebe, muss sie einfach glauben, es wäre mir ernst.«
Er merkte, wie sie schwankte, und legte rasch nach: »Wenn Sie mir nicht erlauben, Ihnen Kleider zu kaufen, muss ich annehmen, dass ich Sie vorhin in der Kutsche beleidigt habe.«
Sie senkte errötend den Blick. »Sie haben mich nicht beleidigt. Ich hätte Sie nicht gewähren lassen dürfen.«
»Sie haben nichts falsch gemacht«, entgegnete er bestimmt. »Ich bin derjenige, der sich schlecht benommen hat, und als Wiedergutmachung werde ich Ihnen ein paar hübsche Kleinigkeiten kaufen.« Bevor sie etwas erwidern konnte, rief er der Ladeninhaberin zu: »Miss Butterfield ist auch der Meinung, dass sie eine umfangreichere Garderobe benötigt.«
»Sehr wohl, Sir. Ich habe hinten noch ein paar besondere Stücke, die ich bisher zurückgehalten habe. Mit ein paar kleinen Änderungen dürften sie Ihrer Verlobten passen.« Als sie davoneilte, um die Kleider zu holen, flüsterte Oliver Maria ins Ohr: »Wenn es Sie beruhigt, ziehe ich meinen Vorschlag zurück, Sie zu meiner Mätresse zu machen. Ich wollte Sie nicht beleidigen und möchte Ihnen versichern, dass Sie ganz unbesorgt sein können.«
»Danke«, sagte sie, schien aber nicht so erleichtert zu sein, wie er erwartet hatte.
Und seine eigene Erleichterung war ebenfalls nicht so groß, wie er gedacht hatte.
Nun musste er ihr dabei zusehen, wie sie züchtige Kleider anprobierte, die ihrer Stellung eher angemessen waren. Dadurch wurde für ihn alles nur noch verworrener, denn es rief ihm in Erinnerung, dass sie nach wie vor eine ehrbare Frau war, völlig ungeachtet der Tatsache, dass sie erst vor Kurzem in seinen Armen dahingeschmolzen war. Plötzlich war die, die er gerade noch auf höchst unangemessene Weise liebkost hatte, wieder eine von jenen Frauen, die er eigentlich mied. Sie war eine unantastbare Jungfrau, das durfte er nie wieder vergessen.
Zwei Stunden später verließen sie das Geschäft mit einer Vielzahl von Kleidern und Accessoires. Er hatte sie auch mit Schals, Handtaschen und Schuhen verwöhnt, obwohl es ihn ärgerte, dass er die Sachen in einem solchen Laden kaufen musste. Mrs Tweedy’s mochte das beste Secondhandgeschäft in der Stadt sein, aber es waren eben gebrauchte Kleider.
Er wollte Maria in modischen Kleidern aus teurer Seide sehen, mit kostbaren Juwelen um den Hals. Einen derartigen Wunsch hatte er noch nie verspürt. Bisher war es ihm immer egal gewesen, wie sich seine Bettpartnerinnen kleideten. Doch ihre sehnsüchtigen Blicke auf die Artikel, von denen sie offenbar dachte, dass sie seine Mittel überstiegen, hatten ihm arges Bauchgrimmen bereitet.
Genau deshalb hatte er sich nie eine Mätresse genommen: Wenn man einer Frau erst einmal zugetan war, war man verloren, und sie konnte einen um den kleinen Finger wickeln. Von da war es nur noch ein kleiner Schritt zum Öffnen der eisernen Truhe, und schon offenbarte man ihr all seine Geheimnisse – derentwegen sie einen dann hasste.
Auf der Rückfahrt nach Ealing wurde nur wenig gesprochen. Maria vermied es, ihn anzusehen, während er wiederum nicht aufhören konnte, sie zu betrachten. Er versuchte, sie in ein Gespräch zu verwickeln, doch der scharfzüngige Engel war verschwunden, und er wusste nicht, wie er ihn zurückbekommen konnte. Selbst Freddy hatte offenbar gemerkt, dass sich etwas verändert hatte, denn er beschränkte sein belangloses Geplapper auf ein Minimum. Als sie Halstead Hall endlich erreichten, lagen Olivers Nerven blank.
Er war froh, dass er
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