Lord Tedric 02 - Raumpiraten
berühren.
»Wie lange dauert es, bis wir sterben?«, fragte Tedric Wilson.
»Zehn Minuten, vielleicht auch zwanzig. Bei mir wird es etwas länger dauern, dann ich habe eben zuviel gegessen. Ich möchte mich für meine Gefräßigkeit entschuldigen. Doch ich wußte, daß wir bald von hier verschwinden würden. Die letzten drei oder vier Wochen war ich so beschäftigt mit den Vorbereitungen für unsere Flucht, daß ich keine Zeit zum Essen fand.«
»Drei oder vier Wochen?« Tedric staunte. »Aber wir sind doch gerade erst sechs Tage hier.«
»Ihr seid seit genau sechsunddreißig Tagen hier«, korrigierte ihn Wilson.
Tedric schüttelte ungläubig den Kopf, doch Wilson hatte keinen Grund zu lügen. Die Zeit konnte eine sehr seltsame Sache sein, stellte Tedric fest. Sie war nie sicher und berechenbar. Zu verschiedenen Momenten konnte sie für verschiedene Personen in entgegengesetzte Richtung verlaufen.
Tedric beschloß, sich auf das Sterben zu konzentrieren. Wie würde es sein? Seine Finger- und Fußspitzen schienen schon taub zu werden. War das der Anfang vom Ende? In seinem Kopf fühlte er sich leicht, schwindlig. Wenn er gestanden hätte, wäre er sicherlich gestürzt.
Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Er blinzelte, schaute in die Richtung, in der er Wilson vermutete. »Du sagtest eben, du hättest einen Komplizen.« Seine Worte kamen langsam, schwerfällig. »Hast du ihn nicht in Gefahr gebracht? Wenn doch unsere Unterhaltung aufgezeichnet wird, kommt man schnell dahinter, daß er seine Finger im Spiel hat.«
Wilson grinste. »Du hast mich nie gefragt, wer mein Komplize ist.«
»Dann frage ich dich jetzt.«
»Rate einmal!«
»Ich – ich kann es nicht«, antwortete Tedric.
Wilson machte eine Handbewegung.
»Mein Komplize ist dieselbe Kreatur, die die Bild- und Tonaufzeichnungen macht. Es ist der Computer, Tedric, und deshalb weiß ich genau, daß wir bald in Sicherheit sein werden. Wir Maschinen halten zusammen. Als ich den Computer kontaktierte, war er froh, mir helfen zu können – natürlich zu seinem Preis.«
Tedric lächelte. »Du bist ein sehr intelligenter Roboter, Wilson.«
»Das muß ich auch sein. Schon seit Hunderten von Jahren bin ich ein Gesetzloser in einem Reich, in dem es angeblich keine Illegalität gibt. Der einzige Grund, warum ich bis jetzt überlebt habe, ist meine blitzartige Schnelligkeit.«
»Du wirst bald tot sein.«
Wilson winkte ab. »Doch nur für eine Weile.«
In diesem Augenblick starb Tedric.
Der Tod ist die persönlichste und intimste aller Wahrnehmungen. Auch lange Zeit später war es Tedric nie möglich, mit jemanden darüber zu sprechen, was mit ihm an diesem Tage im kaiserlichen Gefängnis geschah. Der Tod war eine Erfahrung, die jeder von ihnen machte, doch keiner sprach jemals darüber, weder Nolan, noch Keller, Ky-shan oder gar Wilson, der diese Erfahrung am besten kannte. Jeder von ihnen starb alleine und für vier Normalstunden, Stunden, in denen sich das Universum unberührt weiter drehte.
Der Tod war ein Zustand der Wortlosigkeit, wie das Leben ein Zustand des Wortreichtums ist, und deswegen war keiner von ihnen in der Lage, zu beschreiben, was sie erfahren hatten, selbst wenn sie es gewollt hätten. Niemals mehr vergaß Tedric auch nur einen einzigen Augenblick dieser vier Normalstunden. Er vergaß diese Zeit niemals, doch er dachte auch niemals mehr an sie. Der Tod lag auch außerhalb jedes Gedankens.
Als Tedric aufwachte, lebte er. Dunkelheit umgab ihn. Die Wiedergeburt war ein plötzlicher Vorgang, unähnlich dem langsamen, schwerfälligen Erwachen aus dem Schlaf. In einer Sekunde war er tot, und schon in der nächsten lebte er.
Er hob seine Hände so weit wie möglich über seinen Körper. Ein schweres Hindernis stemmte sich ihnen entgegen. Tedric schlug dagegen, doch es gab nicht nach.
Sorgfältig untersuchte er seine Lage. Schließlich stellte er fest, daß er sich in einer Kiste befand. Sein Körper ruhte auf einem weichen Polster, sein Kopf lag auf einem Kissen. »Ich liege in einem Sarg«, schloß er.
In der langen Geschichte der Menschheit hatten sich kaum andere Dinge weniger verändert als die Rituale des Todes. Tedric wußte, daß man die Toten nicht mehr in der Erde beisetzte, sondern sie verbrannte, entleibte. Doch vorher wurden immer noch feierliche Worte gesprochen. Worte, die aus der Menschheit abergläubischen Vergangenheit überliefert worden waren: Im Leben ist der Tod, und im Tod das Leben. Was wußten die Vorfahren schon von
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