Lords und Ladies
– wohin? Ich weiß doch gar nicht, wo wir waren!«
»Wie bitte?« fragte Shawn.
Ridcully schüttelte sich. »Was geht hier vor?« fragte er.
»Keine Ahnung«, antwortete Shawn. Er schien den Tränen nahe zu sein. »Ich glaube, wir wurden von Elfen angegriffen! Aus den Leuten kriegt man kaum ein vernünftiges Wort heraus! Sie sollen während der Vorstellung erschienen sein! Oder was weiß ich!«
Ridcullys Blick glitt über die Menge der Verängstigten.
»Und Fräulein Magrat ist aufgebrochen, um ganz allein gegen die Angreifer zu kämpfen!«
Falten der Verwirrung bildeten sich auf der Stirn des Erzkanzlers.
»Wer ist Fräulein Magrat?«
»Die zukünftige Königin! Die Braut! Du weißt schon? Fräulein Magrat?«
Ridcullys mentaler Magen konnte nur jeweils eine Sache verdauen.
»Warum ist sie aufgebrochen?«
»Die Elfen haben den König verschleppt!«
»Esme Wetterwachs dürfte sich jetzt ebenfalls in ihrer Gewalt befinden.«
»Was, Oma Wetterwachs?«
»Ich bin hierher zurückgekehrt, um sie zu retten«, sagte Ridcully. Eine Sekunde später wurde ihm klar: Es klang entweder nach Unsinn oder nach Feigheit.
Shawn war viel zu aufgeregt, um darauf zu achten. »Ich hoffe nur, daß die Elfen keine Hexen sammeln. Dann hätten sie’s auch auf unsere Mama abgesehen.«
»Mich haben sie noch nicht erwischt«, ertönte Nanny Oggs Stimme.
Shawn drehte sich um.
»Mama! Wie bist du hereingekommen?«
»Mit dem Besen. Du solltest einige Bogenschützen nach oben schicken, um zu verhindern, daß Elfen übers Dach reinkommen können.«
»Was sollen wir jetzt machen, Mama?«
»Sie treiben sich überall herum«, sagte Nanny. »Und über den Tänzern glüht es…«
»Wir müssen sofort angreifen und sie kalten Stahl schmecken lassen!« rief Casanunda.
»Guter Mann, der Zwerg«, lobte Ridcully. »Er hat recht! Ich hole nur schnell eine Armbrust!«
»Es sind zu viele«, sagte Nanny schlicht.
»Oma und Fräulein Magrat sind da draußen, Mama«, gab Shawn zu bedenken. »Fräulein Magrat wurde auf einmal ganz seltsam, legte eine Rüstung an und brach auf, um gegen sie alle zu kämpfen!«
»Aber im Wald und am Hügel wimmelt’s von ihnen«, erwiderte Nanny Ogg. »Es ist eine doppelte Portion Hölle mit zusätzlichen Teufeln. Dort droht jedem der sichere Tod.«
»Der sichere Tod droht überall«, warf Ridcully ein. »Darin besteht eine der wichtigsten Eigenschaften des Todes: Man kann ihm nicht auf Dauer entkommen.«
»Gegen eine solche Übermacht hätten wir überhaupt keine Chance«, meinte Nanny.
»Das stimmt nicht ganz«, widersprach Ridcully. »Wir hätten eine Chance. Der Kontinuinuinuum-Kram bleibt mir auch weiterhin schleierhaft, aber nach Ansicht des jungen Stibbons bedeutet er folgendes: Irgendwo geschieht alles. Das bedeutet, es könnte auch hier geschehen, selbst wenn die Wahrscheinlichkeit nur eins zu einer Million beträgt.«
»Klingt ganz gut«, räumte Nanny ein. »Allerdings läuft es auf folgendes hinaus: Für jeden Ridcully, der heute nacht überlebt, müssen 999999 sterben.«
»Und wenn schon«, brummte der Erzkanzler. »Die anderen sind mir gleich. Geschieht ihnen ganz recht, weil sie mich nicht zu ihrer Hochzeit einladen.«
»Wie?«
»Schon gut.«
Shawn hüpfte von einem Bein aufs andere.
»Wir sollten gegen die Elfen kämpfen, Mama!«
»Seht euch nur die Leute an!« Nanny winkte. »Sind hundemüde und naß und verwirrt! Das ist doch kein Heer.«
»Mama, Mama, Mama!«
»Ja?«
»Man muß die Leute anfeuern, Mama! Das ist so üblich, bevor Truppen in den Kampf ziehen, Mama! Ich hab’ in Büchern davon gelesen! Man tritt vor die Leute, hält eine Rede, feuert sie ordentlich an und verwandelt die Menge in eine schreckliche Kampftruppe, Mama!«
»Sie sehen schon jetzt schrecklich aus.«
»Ich meine schrecklich wie grimmig, Mama!«
Nanny Oggs Blick galt den gut hundert Bürgern von Lancre. Die Vorstellung, daß sie gegen irgend etwas kämpfen sollen, fiel ihr nicht leicht.
»Kennst du dich damit aus, Shawn?« fragte sie.
»Ich habe alle Ausgaben von Bögen und Bolzen der letzten fünf Jahre, Mama«, sagte Shawn vorwurfsvoll.
»Na schön. Versuch’s, wenn du glaubst, daß es was bringt.«
Shawn zitterte vor Aufregung, als er auf einen Tisch kletterte, mit der Hand des unverletzten Arms das Schwert zog und mit dessen Griff aufs Holz pochte, bis Ruhe herrschte.
Er hielt eine Rede.
Er wies darauf hin, daß der König verschleppt und die zukünftige Königin losgeritten war, um ihn zu
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