Lords und Ladies
sehenswert.
Oma Wetterwachs traf um Viertel vor zwölf ein. Nanny Ogg wartete auf einer Bank bei der Taverne. Sie hatte sich ein Handtuch um den Hals geschlungen und trug einen Eimer mit Wasser und Schwamm.
»Was hast du damit vor?« fragte Oma.
»Ist für die Halbzeit. Außerdem habe ich ein Tablett mit Orangenscheiben vorbereitet.«
Sie deutete darauf. Oma Wetterwachs schnaubte abfällig.
»Du siehst aus, als könntest du etwas zu essen vertragen«, sagte Nanny. »Scheinst heute noch nichts in den Magen bekommen zu haben…«
Sie sah auf Omas Stiefel, bemerkte auch den Schmutz am Saum des langen schwarzen Kleids. Hier und dort zeigten sich kleine Reste von Adlerfarn und Heidekraut.
»Du dumme alte Gans!« zischte sie. »Was hast du gemacht ?«
»Ich mußte…«
»Du bist bei den Steinen gewesen, nicht wahr? Hast versucht, sie zurückzuhalten, stimmt’s?«
»Ja«, bestätigte Oma. Ihre Stimme klang nicht müde. Und sie schwankte auch nicht. Aber sie offenbarte nur deshalb keine Zeichen von Müdigkeit, weil Oma Wetterwachs’ Geist Oma Wetterwachs’ Körper fest im Griff hatte.
»Jemand mußte sich darum kümmern«, fügte sie hinzu.
»Warum hast du mich nicht gefragt?«
»Du hättest versucht, es mir auszureden.«
Nanny Ogg beugte sich vor.
»Ist alles in Ordnung mit dir, Esme?«
»Ja, natürlich! Alles bestens! Warum sollte es mir nicht bestens gehen?«
»Hast du geschlafen?« fragte Nanny.
»Nun…«
»Dafür blieb dir keine Zeit, oder? Glaubst du wirklich, du könntest nach einer anstrengenden, schlaflosen Nacht einfach so hierherkommen und dem Mädchen einen Denkzettel verpassen?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Oma Wetterwachs.
Nanny Ogg maß sie mit einem durchdringenden Blick.
»Du weißt es wirklich nicht, wie?« fuhr sie etwas sanfter fort. »Na schön. Setz dich jetzt, damit du nicht umfällst. Und iß eine Orange. Die Mädchen müßten gleich hier sein.«
»Nein«, widersprach Oma. »Sie werden sich verspäten.«
»Woher weißt du das?«
»Ein großer Auftritt hat nur dann einen Sinn, wenn man von allen gesehen wird, oder? Das ist Pschikologie.«
Oma behielt recht: Die Mitglieder des jungen Hexenzirkels trafen um zwanzig nach zwölf ein und blieben auf den Stufen der Marktbühne stehen.
»Sieh sie dir an«, brummte Oma Wetterwachs. »Wieder alle in Schwarz gekleidet.«
»Das gilt auch für uns«, stellte Nanny Ogg fest.
»Wir tragen schwarze Kleidung, weil sich das so gehört«, sagte Oma verdrießlich. »Wir verwechseln das nicht mit Romantik und so. Ha! Man könnte meinen, sie seien bereits zu uns gekommen.«
Nach einigen Blickkontakten schlenderte Nanny Ogg über den Platz, und von der anderen Seite her kam ihr Perdita entgegen. Das dicke Make-up konnte nicht über die Besorgnis der jungen Hexe hinwegtäuschen. Sie hielt ein Taschentuch aus schwarzer Spitze in den Händen, drehte es nervös hin und her.
»Guten Morgen, Frau Ogg«, sagte sie.
»Tag, Agnes.«
»Äh. Was passiert jetzt?«
Nanny Ogg nahm die Pfeife aus dem Mund und kratzte sich mit dem Mundstück am Ohr.
»Keine Ahnung. Ich schätze, es hängt von euch ab.«
»Diamanda möchte wissen, warum es hier und jetzt stattfinden muß?«
»Damit alle zusehen können«, erwiderte Nanny. »Das ist doch der Sinn der Sache, oder? Nichts Heimliches und Verstecktes. Alle sollen ganz deutlich erkennen, wer die bessere Hexe ist. Die ganze Stadt. Es darf nicht den geringsten Zweifel daran geben, wer gewinnt und wer verliert. Auf diese Weise vermeiden wir weitere Auseinandersetzungen.«
Perdita sah zur Taverne. Oma Wetterwachs war eingedöst.
»Personifizierte Zuversicht«, behauptete Nanny und kreuzte die Finger hinterm Rücken.
»Äh, was geschieht mit dem Verlierer?« fragte Perdita.
»Nicht viel«, antwortete Nanny. »Die betreffende Person verläßt den Ort. Man kann keine Hexe für Leute sein, die beobachtet haben, wie man eine Niederlage erlitten hat.«
»Diamanda meint, sie möchte der Alten nicht weh tun«, sagte Perdita. »Es geht ihr nur darum, Frau Wetterwachs eine Lektion zu erteilen.«
»Gut. Esme lernt schnell.«
»Äh. Dies alles tut mir sehr leid, Frau Ogg.«
»Fein.«
»Diamanda meinte, Frau Wetterwachs habe einen sehr beeindruckenden Blick, Frau Ogg.«
»Ach.«
»Darum dreht sich das Duell – ums Starren.«
»Der alte Wer-zuerst-blinzelt-oder-wegsieht-hat-verloren-Wettstreit?«
»Äh, ja.«
»Na schön.« Nanny dachte darüber nach und zuckte mit den Schultern. »Aber zunächst sollten
Weitere Kostenlose Bücher