Lords und Ladies
Der Schacht darunter bot genug Platz für einen Körper. Dafür waren derartige »Kleiderschränke« bekannt. Die Regierungszeit so manchen unbeliebten Königs wurde an solchen Orten von einem Mörder beendet, der gut klettern konnte, einen Speer mitbrachte und entschlossen war, auf eine sehr direkte Weise in die Politik einzugreifen.
Etwas stieß ziemlich wuchtig gegen die Tür.
»Soll ich für dich singen, Teuerste?«
Magrat traf eine Entscheidung.
Schließlich gaben die Angeln nach. Rostige Bolzen lösten sich aus dem Gestein.
Der halb zugezogene Nischenvorhang bewegte sich im Luftzug.
Der Elf lächelte, trat näher und zog den Vorhang ganz beiseite.
Er sah einen hochgeklappten Holzdeckel. Er beugte sich vor.
Magrat erschien wie ein weißes Phantom hinter ihm und schlug fest mit dem Stuhl zu. Das Ding zerbrach im Nacken des Elfen.
Der Elf versuchte, sich umzudrehen und das Gleichgewicht zu wahren, aber in Magrats Händen war noch immer genug Stuhl übrig, um erneut zuzuschlagen. Das Geschöpf fiel nach hinten und griff nach dem Deckel, der daraufhin zuklappte. Magrat vernahm ein dumpfes Pochen und dann einen langen, zornigen Schrei, als der Elf durch eklige Dunkelheit fiel. Sie durfte natürlich nicht hoffen, daß er sich zu Tode stürzen würde – schließlich würde er auf etwas Weichem landen.
»Der Aufprall bringt ihn nicht um«, murmelte sie. »Aber vielleicht erstinkt er.«
Man mag nur zwei Sekunden Zeit gewinnen, wenn man sich unterm Bett versteckt. Doch manchmal reichen diese zwei Sekunden aus.
Magrat ließ die Reste des Stuhls los. Sie zitterte. Aber sie lebte noch, und das fühlte sich gut an. Darin besteht einer der Vorteile des Lebens: Man kann es genießen, am Leben zu sein.
Magrat spähte in den Flur.
Sie durfte nicht hier bleiben. Entschlossen griff sie nach einem Stuhlbein und wagte sich durch die Tür.
Erneut hörte sie einen Schrei, und zwar vom Großen Saal her.
Magrat sah in die andere Richtung, durch die Lange Galerie. Und sie lief los. Irgendwo mußte es einen Weg nach draußen geben, ein Tor oder ein Fenster…
Ein innovativer König hatte hier die Fenster verglasen lassen. Der Mondschein schimmerte durch große, silberne Blöcke, die sich mit schwarzen Quadraten abwechselten.
Magrat hastete von Licht zu Schatten, von Licht zu Schatten, durch ein endloses Zimmer. Dutzende von Monarchen glitten an ihr vorbei, wie die Geschichte von Lancre im Zeitraffer. König nach König, mit Bärten und Kronen. Königin nach Königin, mit Miedern, Korsetts, sanften Falken, kleinen Hunden und…
Irgend etwas durchdrang die Barriere aus Entsetzen und weckte Magrats Aufmerksamkeit: vielleicht der besondere Gesichtsausdruck eines Gemäldes, ein seltsamer Reflex, hervorgerufen vom wechselhaften Glanz des Mondes…
Sie verharrte vor einem Bild, das sie nie zuvor bemerkt hatte. So weit war sie schließlich auch noch nicht in die Lange Galerie vorgedrungen. Die geradezu idiotische Geistlosigkeit der vielen Königinnen hatte sie zu sehr deprimiert. Doch dieses Porträt…
Es schien eine Botschaft zu verkünden, die Magrat hören konnte.
Sie blieb stehen.
Dieses Bild konnte unmöglich zu Lebzeiten der betreffenden Königin angefertigt worden sein. Damals war nur eine Art Blau bekannt gewesen, das man hauptsächlich am Körper verwendete. Nun, vor einigen Generationen hatte König Lully I. regiert, ein Monarch mit historischen Interessen und einem gewissen Hang zur Romantik. Er stellte Nachforschungen über die Anfänge von Lancre an, und wo deutliche Anhaltspunkte fehlten, folgte er der Tradition engagierter Historiker: Er zog Schlußfolgerungen aus dem Offensichtlichen * und extrapolierte aus zuverlässigen Quellen. ** Auf der Grundlage solcher Informationen gab er ein Gemälde in Auftrag, das Königin Ynci die Unbeherrschte zeigte, eine der Gründerinnen des Königreichs Lancre.
Ynci trug einen Helm mit Schwingen und einer Spitze. Die lange Mähne bildete eine dichte Lockenmasse, wobei Blut als Haarfestiger verwendet worden war. Das alles andere als sparsam aufgetragene Make-up wurde der Waid-und-Blut-und-Spiralen-Schule barbarischer Kosmetik gerecht. Der Brustharnisch wies zwei beeindruckend große Stahlkörbe auf, und es fehlte ihm ebensowenig an Spitzen wie den Schulterplatten. Spitzen zierten auch die Knieschützer und Sandalen. Hinzu kam ein recht kurzer Rock mit modischen Karo- und Blutmustern. Eine Hand ruhte lässig auf dem Griff einer großen, mit Spitzen ausgestatteten Streitaxt,
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