Lords und Ladies
»Ich wünschte, wir hätten hier noch ein Kettenhemd. Aber das ist alles im Arsenal.«
»Mach dir keine Sorgen. Ich komme schon zurecht. Geh jetzt.«
Shawn nickte. Auf dem Fenstersims zögerte er kurz und ließ sich dann in die Dunkelheit fallen.
Magrat schob das Bett vor die Tür und nahm darauf Platz.
Sie spielte mit dem Gedanken, ebenfalls aufzubrechen, doch in dem Fall bliebe das Schloß unbewacht zurück, was ihr nicht richtig erschien.
Außerdem fürchtete sie sich.
Es gab nur eine Kerze im Zimmer, und die war bereits zur Hälfte niedergebrannt. Wenn sie verlöschen würde, gäbe es nur noch Mondlicht. Magrat hatte Mondschein immer gemocht – bis jetzt.
Draußen herrschte Stille. Zumindest die Geräusche der Stadt hätte man eigentlich hören sollen.
Magrat dachte daran, daß es nicht unbedingt eine gute Idee gewesen sein mochte, Shawn mit dem Schlüssel gehen zu lassen. Wenn die Elfen ihn schnappten, konnten sie ohne Probleme ins Zimmer eindringen…
Jemand schrie, und zwar ziemlich hingebungsvoll.
Nach dem langen Schrei kehrte die Stille der Nacht zurück.
Nach einigen Minuten kratzte etwas am Schloß. Es klang nach jemanden, der ein dickes Tuch um den Schlüssel gewickelt hatte – um einen Kontakt mit dem Metall zu vermeiden – und nun versuchte, ihn möglichst lautlos ins Schloß zu schieben.
Die Tür öffnete sich – und stieß nach wenigen Zentimetern ans Bett.
»Willst du nicht herauskommen, Teuerste?«
Die Tür knarrte.
»Willst du nicht mit uns tanzen, hübsche Dame?«
Die Stimme zeichnete sich durch seltsame Schwingungen und ein Echo aus, das noch einige Sekunden nach dem letzten Wort im Kopf nachhallte.
Die Tür schwang ganz auf und stieß das Bett beiseite.
Drei Gestalten huschten ins Zimmer. Eine untersuchte das Bett, und ihre beiden Begleiter nahmen sich die dunklen Ecken des Raums vor. Nach einer Weile ging einer von ihnen zum Fenster und sah nach draußen.
Die alte, an vielen Stellen zerbröckelnde Mauer erstreckte sich leer nach unten, bis zum Strohdach des Kornspeichers.
Die Gestalt nickte zwei weiteren Gestalten zu, die mit wehendem blonden Haar unten auf dem Hof im Mondlicht standen.
Einer von ihnen deutete nach oben, wo eine Gestalt, die ein langes weißes Kleid trug, an der Mauer hochkletterte.
Der Elf am Fenster lachte. Diese Sache machte noch viel mehr Spaß, als er gehofft hatte.
Magrat zog sich über den Fenstersims, sank zu Boden und schnappte nach Luft. Sie gönnte sich nur eine kurze Verschnaufpause, stand auf und wankte zur Tür. Es steckte kein Schlüssel im Schloß, aber dafür gab es zwei dicke Holzriegel, die sie jetzt rasch vorschob.
Magrat schloß auch den Fensterladen.
Man würde sie bestimmt nicht noch einmal auf die gleiche Weise entkommen lassen. Sie hatte mit einem Pfeil gerechnet, aber… Nein, etwas so Einfaches machte ihnen nicht genug Spaß.
Finsternis umgab die ehemalige Hexe. Sie befand sich jetzt wieder in einem Zimmer – aber in welchem? Nach kurzer Suche entdeckte sie eine Kerze und Streichhölzer; wenige Sekunden später brannte Licht.
Im unsteten Schein der flackernden Kerzenflamme sah Magrat mehrere kartonartige Behälter mit Reisegepäck, woraus sie schloß: Dies war ein Gästezimmer.
Gedanken tröpfelten durch die Stille in ihrem Kopf, einer nach dem anderen.
Sie fragte sich, ob die Elfen für sie singen würden. Und ob sie dem Gesang widerstehen konnte. Wenn man darauf vorbereitet war…
Es klopfte leise an der Tür.
»Deine Freunde sind unten, Teuerste. Komm und tanz mit mir.«
Magrat sah sich verzweifelt um.
Der Raum war auf die bekannt schlichte Weise von Gästezimmern eingerichtet. Krug und Waschschüssel; der schreckliche »Kleiderschrank«, eher schlecht hinter einem Vorhang verborgen; das Bett, auf dem einige Kleidungsstücke lagen; ein nicht besonders stabil wirkender Stuhl, von dem an mehreren Stellen der Lack abblätterte; und ein Läufer, durch Alter und Staub ergraut.
Das Klopfen wurde lauter; die Tür bebte. »Laß mich eintreten, hübsche Dame.«
Das Fenster bot diesmal keinen geeigneten Fluchtweg. Magrat dachte daran, sich unter dem Bett zu verstecken. Wieviel Zeit gewann sie dadurch? Wohl kaum mehr als zwei Sekunden.
Irgendein schrecklicher Zauber lenkte Magrats Aufmerksamkeit zum Kleiderschrank hinterm Vorhang.
Ihre Füße schienen sich von ganz allein in Bewegung zu setzen, und dem Rest des Körpers blieb nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen.
In der Wandnische nahm sie den Deckel ab.
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