Lords und Ladies
mit
einem derartigen Gesicht zu sprechen. Wenn man den Mund öffnet,
wird man plötzlich von einem Blick durchbohrt, der folgende Botschaft
vermittelt: Ganz gleich, was du auch zu sagen hast – es sollte interessant
sein, zu deinem eigenen Besten.
Ein solcher Blick streicht nun über die acht Felsen auf der Anhöhe.
Hmm.
Dann nähert sich die junge Frau vorsichtig. Es ist nicht die Vorsicht
eines zur Flucht bereiten Hasen. Die Bewegungen lassen sich eher mit
denen eines Jägers vergleichen.
Sie stemmt die Hände in die schmalen Hüften.
Eine Feldlerche zwitschert hoch am Himmel, und abgesehen davon
herrscht Stille. Weiter unten im Tal und höher in den Bergen zirpen
Heuschrecken und summen Bienen; dort ist das Gras vol er Mikrogeräu-
sche. Aber im Bereich der Steine schweigt die Welt.
»Ich bin hier«, sagt die junge Dame. »Zeig dich.«
Im Innern des Steinkreises erscheint eine dunkelhaarige Frau, die ein
rotes Gewand trägt. Man kann ohne große Schwierigkeiten einen Kiesel
von einer Seite des Kreises zur anderen werfen, aber die Gestalt erweckt
trotzdem den Eindruck, aus weiter Ferne zu kommen.
Andere Leute wären jetzt weggelaufen. Doch die junge Frau rührt sich
nicht von der Stelle, ein Umstand, der die Fremde fasziniert.
»Es gibt dich also wirklich.«
»Natürlich. Wie heißt du, Mädchen?«
»Esmeralda.«
»Und was willst du?«
»Ich will überhaupt nichts.«
»Jeder möchte etwas. Auch du. Warum bist du sonst gekommen?«
»Ich wol te nur herausfinden, ob es dich gibt.«
»Ja, für dich existiere ich zweifel os… Du hast einen scharfen Blick.«
Die junge Frau nickt. Ihr Stolz kommt einem Schild gleich, an dem al-
les abprallt.
»Und da du nun Antwort auf deine Frage gefunden hast…«, sagt die
Gestalt im Kreis. »Was willst du von mir?«
»Nichts.«
»Ach, tatsächlich? In der letzten Woche hast du die Berge jenseits vom
Kupferkopf erklommen, um mit den Trollen zu reden. Was wolltest du
von ihnen?«
Die junge Frau neigt den Kopf zur Seite.
»Woher weißt du das?«
»Die Erinnerungen daran befinden sich ganz oben in deinem Bewußt-
sein. Jeder kann sie sehen. Jeder, der einen scharfen Blick hat.«
»Dazu werde auch ich imstande sein, eines Tages«, meint die Frau
selbstgefällig.
»Wer weiß? Vielleicht hast du recht. Was wolltest du von den Trollen?«
»Ich… Ich wol te nur mit ihnen reden. Sie glauben, daß die Zeit rück-
wärts läuft. Sie erklären es damit, daß man die Vergangenheit sehen
kann…«
Die Fremde im Kreis lacht.
»Trol e sind wie die dummen Zwerge! Interessieren sich nur für Steine.
Was kann an Steinen schon interessant sein?«
Die junge Frau zuckt unverbindlich mit den Schultern. Sie scheint der
Meinung zu sein, daß Steine durchaus interessant sein können.
»Warum bist du nicht in der Lage, den Kreis zu verlassen?«
Es gibt einige subtile Anzeichen dafür, daß diese Frage der Fremden
nicht sehr gefäl t. Sie beschließt, ihr keine Beachtung zu schenken.
»Ich könnte dir helfen, mehr zu finden als nur Steine«, bietet sie an.
»Du kannst den Kreis wirklich nicht verlassen, oder?«
»Ich kann dir das geben, was du möchtest.«
»Ich kann jeden beliebigen Ort aufsuchen, aber du sitzt im Kreis fest«,
sagt Esmeralda.
»Jeden beliebigen Ort willst du aufsuchen können?«
»Ja. Wenn ich Hexe bin.«
»Aber du wirst nie eine sein.«
»Was?«
»Es heißt, du hörst nicht zu. Es fällt dir schwer, dein Temperament zu
beherrschen. Angeblich fehlt es dir an Disziplin.«
Die junge Frau wirft ihr Haar zurück. »Ach, auch das weißt du, wie? So
etwas sagt man mir also nach… Nun, was auch immer die Leute glauben
– ich werde Hexe. Es ist auch möglich, die Dinge selbst herauszufinden.
Man muß nicht unbedingt alten Weibern zuhören. Und noch etwas,
Steinkreisfrau: Ich werde die beste Hexe, die es je gab.«
»Mit meiner Hilfe wäre dir das möglich«, erwidert die Fremde. Sie zö-
gert kurz und fügt hinzu: »Ich glaube, der junge Mann sucht nach dir.«
Einmal mehr zuckt Esmeralda mit den Schultern. Sol er von mir aus
den ganzen Tag suchen, lautet ihre unausgesprochene Antwort.
rde zur besten Hexe aller Zeiten«, betont sie erneut.
»Oder?«»Vielleicht. Du könntest alles werden. Was auch immer du
willst. Komm zu mir in den Kreis. Ich zeig’s dir.«
Esmeralda tritt näher und zögert dann. Irgend etwas im Tonfal der
Fremden erscheint ihr seltsam. Das Lächeln ist nett und freundlich, doch
so etwas wie
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