Lords und Ladies
Verzweiflung klingt in ihrer Stimme mit. Es hört sich drän-
gend an, irgendwie gierig.
»Ich lerne eine Menge…«
»Komm jetzt sofort in den Steinkreis!«
Noch ein Schritt nach vorn – und wieder bleibt die junge Frau stehen.
»Woher soll ich wissen…«
»Die Kreis-Zeit! Stell dir vor, wieviel mehr du hier lernen kannst!
Komm!«
»Aber…«
»Komm zu mir!«
Das al es geschah vor vielen Jahren, in der Vergangenheit*. Heute ist
die Hexe…
… älter.
Ein Land aus Eis…
Es ist keinesfal s Winter, denn dann gäbe es auch den Herbst und viel-
leicht sogar einen Frühling. Es handelt sich tatsächlich um ein Land aus
Eis, nicht nur um eine kalte Jahreszeit.
Drei Reiter sahen über den schneebedeckten Hang und blickten zum
Steinkreis. Von dieser Seite aus betrachtet wirkten die Felsen größer.
Die Kleidung der drei Gestalten war schon seltsam genug, aber es gab
noch etwas anderes Sonderbares: Warmer Pferdeatem formte vor den
Nüstern graue Wolken, doch vor den Lippen der Reiter zeigte sich nichts
dergleichen.
»Diesmal wird es keine Niederlage«, sagte die Frau in der Mitte. Sie
trug ein rotes Kleid. »Ich bin sicher, das Land heißt uns wil kommen.
Inzwischen haßt es die Menschen bestimmt.«
»Und die Hexen?« fragte einer der beiden anderen Reiter. »Ich kann
mich an Hexen erinnern.«
»Früher lebten hier welche, ja«, erwiderte die Frau. »Aber heute… Oh,
heute sind es erbärmliche Geschöpfe ohne Macht. Leicht beeinflußbar.
Ohne Widerstandswillen. Ich habe mich umgesehen und gelauscht. Ja,
* Also in einem anderen Land.
des Nachts bin ich unterwegs gewesen, um einen Eindruck zu gewinnen.
Und daher kenne ich die heutigen Hexen. Überlaßt sie mir.«
»Hexen…«, murmelte der dritte Reiter. »Ich entsinne mich ebenfal s an
sie. Gedanken wie… wie Metal .«
»Heute nicht mehr. Keine Sorge. Überlaßt sie mir.«
Die Königin lächelte gutmütig, während sie den Steinkreis beobachtete.
»Anschließend könnt ihr sie haben«, sagte sie. »Was mich betrifft… Ich
lege mir einen sterblichen Gemahl zu. Einen ganz besonderen sterblichen Gemahl. Die Einheit zweier Welten… Damit zeigen wir unsere Entschlossenheit, auf Dauer zu bleiben.«
»Das wird dem König nicht gefal en.«
»Hat das jemals eine Rolle gespielt?«
»Nein, Herrin.«
»Es dauert nicht mehr lange, Lankin. Die Kreise öffnen sich. Bald
können wir zurückkehren.«
Der zweite Reiter beugte sich im Sattel vor.
»Und dann gehe ich wieder auf die Jagd«, sagte er. »Wann? Wann?«
»Bald«, antwortete die Königin. »Bald.«
Es war eine dunkle Nacht. Diese Art von Dunkelheit ließ sich nicht al-
lein mit der Abwesenheit von Mond und Sternen erklären. Die Dunkel-
heit schien vielmehr von einem anderen Ort heranzuströmen und regel-
recht Substanz zu gewinnen – man hatte das Gefühl, eine Handvol da-
von greifen und die Nacht herausquetschen zu können.
Eine solche Dunkelheit sorgt dafür, daß Schafe über Zäune springen
und sich Hunde in ihren Hütten verkriechen.
Doch der Wind war warm und nicht ganz so stark wie laut: Er heulte
im Wald und pfiff durch die Kamine.
In solchen Nächten zieht man sich die Decke bis über die Ohren, da
man spürt, daß die Welt etwas anderem gehört. Am nächsten Morgen
wird sie den Menschen wieder zur Verfügung stehen. Dann mögen ab-
gebrochene Äste und Zweige herumliegen, viel eicht auch die eine oder
andere Schindel vom Dach, aber wenigstens handelt es sich wieder um
eine menschliche Welt. Doch jetzt… Besser war’s, die Decke noch ein wenig höher zu ziehen und die Geborgenheit eines warmen Bettes zu ge-
nießen.
Diese Möglichkeit stand nicht al en offen.
Jason Ogg, seines Zeichens Schmied, betätigte ein- oder zweimal den
Blasebalg, um sich etwas abzulenken, nahm dann wieder auf dem Am-
boß Platz. In der Schmiede war es immer warm, auch wenn draußen der
Wind heulte.
Jason konnte praktisch alles mit Hufeisen ausstatten. Einmal hatten sich ein paar Jungs einen Scherz erlaubt und ihm eine Ameise gebracht.
Der Schmied blieb die ganze Nacht auf, arbeitete mit einem Vergröße-
rungsglas und einem Stecknadelkopf, den er als Amboß benutzte. Die
Ameise trieb sich noch immer irgendwo herum – manchmal hörte er sie
klappern.
Doch heute nacht… Nun, in dieser Nacht mußte er gewissermaßen die
Miete zahlen. Die Schmiede gehörte ihm natürlich; sie wurde von Gene-
ration zu Generation vererbt. Aber sie bestand aus mehr als nur
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