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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Wollte nachdenken. Über sich und über Fee. Über das Echo.
    »Kennst du eigentlich den Ursprung des Echos und a l ler anderen Wesen von Fa e rie?«, fragte Jammrich.
    Sie schüttelte benommen den Kopf. Sie war hin und her gerissen zwischen dem Drang, einfach loszuheulen, und dem Gefühl, sich diese Blöße vor den anderen nicht geben zu dürfen. Sie hielt ihre Tränen zurück, so gut sie nur konnte, und vielleicht war es gar keine schlechte Idee, sich eine von Jammrichs Geschichten anzuhören. Möglich, dass sie das ablenkte.
    »Natürlich erzählen sich die Leute viele verschiedene Fassungen dieser Geschichte«, begann der Lange Jam m rich und setzte grinsend hinzu: »Und wie immer ist me i ne die einzig wahre.« Er lehnte sich zurück, zog an seiner Pfeife und wurde ernst. »Die Pfaffen predigen von ihren Kanzeln, dass einst Adam und Eva die ersten Kinder zeu g ten und so das Menschengeschlecht begründeten. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Eva, musst du wissen, war nämlich Adams zweite Frau.«
    »So?«
    »Allerdings«, sagte Jammrich nickend. »Vor ihr gab Gott Adam ein anderes Weib zur Seite. Ihr Name war Lilith. Wie später Eva erlag auch Lilith einer Vers u chung, allerdings nicht jener des Apfels und der Schla n ge. Nein, Lilith war nach fleischlichen Gelüsten zu Mute, und obwohl Gott es ihr verboten hatte, legte sie sich in der Nacht an Adams Seite und verführte ihn. Denn Lilith war ein herrliches Weibsbild, tausendfach schöner als Eva, und kein Mann hätte ihr je widerstehen können.« Er grinste. »Aber, wie wir wissen, gab es ja nur den einen, und so war sie, als sie Zuwendung suchte, auf den schl a fenden Adam angewiesen. Pech, könnte man sagen!«
    Die Spielleute lachten, nur Ailis war nicht nach He i terkeit zu Mute.
    »Mit Hilfe einer List gelang es Lilith, Gottes Blick von sich abzuwenden und Adam eine ganze Nacht ung e straft b eizuliegen. Doch bald schon spürte sie, dass etwas in ihrem Leib heranwuchs. Auch der Schöpfer bemerkte es, und in seinem Zorn verbannte er Lilith aus dem Ga r ten Eden an einen Ort, über den heute niemand mehr e t was weiß. Die Kinder aber, die sie gebar, wurden zu wundersamen Wesen, die Jahrtausende lang unsichtbar zwischen den Menschen wandelten. Sie brachten eigene Kinder zur Welt, Generation um Generation, und so en t stand das Volk der Feen. Und als Gott sich immer wen i ger um die Menschen und seine anderen Schöpfungen kümmerte, schwang sich eines dieser Wesen zum Her r scher empor und eröffnete seinem Volk den Weg nach Faerie. Nur einige der Ältesten blieben in unserer Welt, um die Tore zum Feenreich zu beschützen – das waren die Echos. Man sagt, einige von ihnen seien noch von Lilith selbst geboren worden, so unsagbar alt sind sie.«
    Ailis griff nach dem Becher, den Jammrich ihr wegg e nommen hatte, und drehte ihn nachdenklich zwischen den Fingern. »Ich dachte, Titania sei die Herrin der Feen. Wer aber ist dann dieser Herrscher, von dem du gespr o chen hast?«
    »Titania war nicht immer die Königin von Faerie. Vor ihr herrschte Oberon, und vor ihm viele andere Könige und Königinnen. Der erste in dieser Reihe aber war der Erlkönig, und er war es, der den Weg nach Faerie schuf. Keiner, der ihm folgte, wurde jemals wieder so mächtig wie er, und auch Titania besitzt nur einen Bruchteil se i ner Macht.«
    »Du meinst also«, sagte Ailis stockend, »unser Echo existiert schon seit Anbeginn der Zeit?«
    Jammrich nickte mit düsterer Miene. »Falls es eines von Liliths ersten Kindern ist, und das vermute ich, dann ist es fast so alt wie die Welt selbst.«
    Buntvogel mischte sich ein. »Aber wir wissen noch immer n icht, was es eigentlich bezweckt. Es kann nicht auf ewig Gemeinheiten aushecken, die zu nichts führen.«
    Der Lange Jammrich paffte eine Rauchwolke aus se i ner Pfeife, so groß, dass Ailis einen Moment lang um Atem rang. »Und wenn es«, begann er nachdenklich, »ich meine, nur einmal angenommen, wenn es also ve r suchen will, die Macht über Faerie an sich zu reißen?«
    »Wie kommst du darauf?«, fragte Ailis. »Bisher treibt es doch nur auf unserer Seite des Tors sein Unwesen.«
    »Überleg doch! Warum hat es wohl Vorjahren schon einmal den Durchgang geöf f net und Wesen aus Faerie in unsere Welt schlüpfen lassen?«
    Ailis zuckte die Achseln. »Ich denke, es hat den Verstand verloren?«
    »Das habe ich bisher auch angenommen«, entgegnete Jammrich. Alle am Tisch hörten ihm aufmerksam zu. »Doch allmählich bin ich anderer

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