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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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hereinkam und annahm, sie hätte am Ei n gang auf ihn gewartet, sich gar nach seiner ritterlichen Anwesenheit verzehrt.
    Wie ihr Onkel es gewünscht hatte, war Fee in ihr feinstes Nachtgewand gekleidet. Es war aus edlem Stoff, schneeweiß wie die Landschaft draußen vor dem Fenster, und mit goldfarbenen Stickereien abgesetzt. Sie hatte einen dunkelgrünen Umhang darüber geworfen und ihr Haar mit einer la n gen Nadel hochgesteckt; sie mochte ihr zur Verteidigung dienen, falls der Ritter Zweifel an ihrer Keuschheit hatte. Fee war barfuß, aber der Saum des Gewandes schleifte über den Boden und verhinderte je g lichen Blick auf nackte Haut.
    Geraume Zeit verging, ehe die Tür aufsprang und Ri t ter Baan von Falkenhagen ins Zimmer trat. Fee hatte ke i ne Schritte auf dem Gang gehört. Sie schob es – wide r willig – auf ihre Aufregung.
    »Oh, verzeiht«, entfuhr es ihm, als er sie bemerkte. »Ich wusste nicht, dass Ihr schon wartet. Ich hätte sonst angeklopft, dessen seid versichert. Ihr seid Fee, die Toc h ter des Grafen, nicht wahr?«
    »Seine Nichte«, sagte Fee, und ihre Stimme klang nicht halb so hart und widerborstig, wie sie es sich vo r genommen hatte.
    Das prächtigste Mannsbild dies- und jenseits des Stroms, hatte Amrei sich erträumt, doch damit hatte sie dem jungen Mann im Türrahmen ein wenig zu viel der Ehre z u kommen lassen. Wiewohl, so viel musste Fee sich schmollend eingestehen, er war, wenn auch kein Ausbund an Schönheit und herrlichem Wuchs, durchaus ansehnlich.
    Der dreiste Junge, den sie in Erinnerung hatte, war klein und zierlich gewesen. Se i ne dreizehn Jahre hatte man ihm damals kaum angesehen, er hatte jünger gewirkt – zumindest in den Augen der neunjährigen Fee.
    Doch mit dem Bild in ihrem Kopf hatte der heutige Baan nur noch wenig gemein, allein sein dunkles, leicht gewelltes Haar reichte ihm wie damals bis über die Schultern. Er war hoch gewachsen, mindestens so groß wie ihr Onkel, und die bloßen Waden, die unter seinem knielangen Hemdrock hervorschauten, waren stark und ließen auf einen schnellen Läufer schließen. Die Ärmel seines Gewandes reichten bis zum Ellbogen, breite L e derreife umschlossen seine Unterarme. Kinn und Wa n gen waren glatt, doch ein dunkler Schatten verriet seinen kräftigen Bartwuchs. Fee war – abermals gegen ihren Willen – fast ein wenig froh, dass er rasiert war. Sie mochte keine Barte, und es ekelte sie vor den Kerlen, denen beim Bankett Essen und Bier in den Barthaaren klebten.
    Baan hatte Augen von einem so hellen Braun, dass sie fast golden wirkten. Sie wunderte sich, dass ihr diese Augen nicht schon damals aufgefallen waren, gewiss hätte sie sich daran erinnert.
    Er schloss die Tür – er verzichtete darauf, den Riegel vorzuschieben, wie sie sehr wohl bemerkte – und trat zum Kaminfeuer. »Verzeiht, aber ich muss mich einen A u genblick aufwärmen«, sagte er und wandte ihr den Rücken zu.
    »So war Euer Bad wohl nicht heiß genug?«, fragte sie unschuldig.
    »Das Wasser schon. Doch der Weg vom Badehaus hierher war weiter, als ich ve r mutet hatte. Und, vielleicht habt Ihr es ja bemerkt, es schneit. Ziemlich heftig sogar.«
    Sie wünschte sich, in sein Gesicht sehen zu können, um sicher zu sein, dass er sich nicht über sie lustig mac h te. Nein, dachte sie, das würde er nicht wagen.
    Er aber sagte: »Natürlich ist das Wetter nicht halb so eisig wie Euer Stolz, edles Fräulein.«
    »Was gibt Euch das Recht, über meinen Stolz zu urte i len, Ritter?«, fragte sie g e fasst.
    »Glaubt Ihr, ich würde mich Eurer nicht erinnern?« Er lachte, immer noch mit dem Rücken zu ihr, und streckte seine Arme, bis die Gelenke knackten. »Denkt Ihr, ich hätte das kleine Mädchen vergessen, das zum Grafen lief und ihm v orschwindelte, ich würde auf dem Burghof den Mägden die Röcke hochziehen?«
    »Ich – «
    Er drehte sich um und zeigte ein spitzbübisches Gri n sen. »Und glaubt Ihr, ich hätte den Grund dafür verge s sen? Ihr wolltet, dass ich Euch einen Kuss gebe – Euch und Eurer Freundin –, und als ich mich weigerte, habt Ihr diese Lüge über mich verbreitet. Mein Vater hat mir d a mals eine Tracht Prügel verabreicht, die mich tagelang nicht sitzen ließ.«
    Fee schluckte schwer. »Ihr habt versucht, mich über’s Knie zu legen.«
    »Erst danach. Und selbst da habt ihr noch gebettelt, ich möge Euch lieber küssen.«
    Fee hatte das Gefühl, als müsste sie vor Scham tot niedersinken. Dann aber hätte er wahrscheinlich ve r sucht, sie

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