Loreley
verabschieden.«
»Ja«, sagte Ailis nur. Ein Kloß, so groß wie eine Mä n nerfaust, schien in ihrer Kehle festzustecken.
»Du bist mir böse.« Fee trat auf sie zu, blieb aber e i nen Schritt vor ihr stehen. »Und ich weiß nicht, was ich dagegen tun kann.«
»Ich bin nicht böse.«
»Sicher bist du das.« Wieder lächelte sie. »Und ich wäre ganz schön beleidigt, wenn du es nicht wärst.«
»Wie lange wird die Reise dauern?«, fragte Ailis mit spröder Stimme.
»Wenn es nicht weiter schneit, etwa vier Tage.«
Ailis fiel nichts mehr ein, was ihr noch zu sagen blieb. Deshalb meinte sie nur: »Ziemlich lange.«
»Die Hochzeitsfeier findet in zwei Wochen statt. Ich habe meinen Onkel gebeten, dich mitzunehmen, falls du es möchtest.«
»Nein, ich glaube nicht.«
Fee sah sehr verletzlich aus, wie sie so dastand, trotz ihrer wertvollen Kleidung. »Ailis, was kann ich nur tun, damit wir Freundinnen bleiben?«
Ailis spürte, dass ihre Lider flatterten. »Wir könnten immer vor dem Einschlafen aneinander denken«, sagte sie spöttisch.
Fee zuckte unmerklich zusammen. »Wahrscheinlich habe ich deine Wut verdient.«
»Nein.« Ailis taten ihre Worte sofort leid. »Nein, hast du nicht.« Sie versuchte zu lächeln und hätte fast Fees Hand ergriffen. »Es ist … na ja, vielleicht bin ich nur ne i disch.«
»Vielleicht«, meinte Fee, aber ihr war anzusehen, dass sie nicht daran glaubte. Sie wusste genau, was in Ailis vorging. »Mir würde es umgekehrt genauso gehen«, sa g te sie leise.
Ailis’ Mundwinkel zuckten. »Aber ich bin ja nicht di e jenige, die Baan heiratet.«
»Das meine ich nicht«, sagte Fee. »Nicht den Neid auf Baan. Aber die Enttäuschung.« Sie legte beide Hände auf Ailis’ Schultern und zog sie noch näher heran. Ihre Gesic h ter waren nur noch eine Handbreit voneinander en t fernt.
»Ich …«, begann Ailis, aber dann gingen ihr einfach die Worte aus.
Fees Atem roch nach Kamille. »Du musst mir verspr e chen, Baan nicht zu hassen. Er hat nichts damit zu tun.«
»Nichts damit – «
»Nein. Nicht er nimmt mich zur Frau, sondern ich ihn zum Mann.«
Ailis nickte, aber sie verstand noch nicht wirklich, was Fee damit sagen wollte. Für sie war das im Moment alles einerlei. Sie wünschte plötzlich, Fee würde gehen.
Fees Lippen berührten fast die ihren, als sie sagte: »Was auch geschieht, Ailis, ich habe es so gewollt. Ve r stehst du? Ich allein! Und das ist alles, was wirklich zählt.«
»Wir bleiben … Freundinnen.«
»Die besten.«
»Und du kommst zurück. Zu Besuch.«
»So oft es nur geht.«
Und dann küssten sie sich, und Fee ging tatsächlich fort, ließ sie zurück in ihrer kleinen Kammer, deren Wände aufeinander zu rückten, bis Ailis nicht mehr a t men konnte und beinahe panisch ins Freie stürzte.
Auf dem Hof sah sie den Pferdeschlitten durchs Tor gleiten, eskortiert von zwei Dutzend Reitern, und alle waren draußen, der Graf, die Gräfin und Fees Vater, alle Zofen und Bediensteten, und viele unterdrückten Tränen oder weinten freiheraus.
Ailis weinte nicht mehr. Lief nur hinter dem Schlitten und dem Reitertross her, sah zu, wie er den Weg über die Berge einschlug, ins Hinterland und weiter, weiter fort, dorthin, wo in blauer, dämmriger Ferne Baans Burg und Fees Zukunft lagen und von wo der Wind heranwehte und leise, tröstende Worte wisperte. Und fast hätte er sogar den Gesang übertönt, der plötzlich in der Winte r luft schwebte, und den niemand hörte außer Ailis.
Der Weg über den Rhein fiel ihr diesmal leicht. Ailis spürte nicht einmal, dass der uralte Strom unter ihren Füßen dahinschoss, so dick war das Eis und so hoch lag der Schnee.
Am anderen Ufer kletterte sie den Lurlinberg empor, ungeduldig wie ein Kind in der frohen Erwartung, den Hang auf einem Stück Holz oder einer gefetteten Tie r haut hinabzurutschen.
Sie hörte den Lockgesang des Mädchens, aber sie wusste auch, dass er nicht ihr galt. Sie kam aus freiem Willen hierher. Wenigstens sagte sie sich das ein ums andere Mal, während sie dem Bergplateau entgegen stieg.
Du bist hier, weil du es willst!
Das eintönige Weiß des Schnees gaukelte ihr vor, sich schon auf ebenem Unte r grund zu befinden, als sie noch immer den Hang hinaufkletterte. Der Weg nach oben schien ihr länger als je zuvor. Eis glitzerte im Licht der aufgehenden Sonne, funkelnde Gestirne, die vom Hi m mel zu Boden gesunken waren.
Endlich kam sie oben an und näherte sich den Ruinen der alten Wehranlage. Mauern und
Weitere Kostenlose Bücher