Loreley
Gitter würde es festhalten.«
»O ja. Das hätte es auch. Die Magie des Gitters ist groß, es hält nicht nur das Echo, sondern auch seinen Gesang gefangen. Das Wenige, das hindurchdringt, ist nicht stark genug, um die Ohren eines gewöhnlichen Menschen zu erreichen. Wer hätte ahnen können, dass es dennoch jemanden geben würde, dessen Ohren empfin d lich genug sind, um selbst einem harmlosen Hauch des Gesangs zu verfallen! Nicht einmal ich vermag in die Zukunft zu sehen. Wir haben versucht, das Echo zu bä n digen und wir sind g e scheitert. So etwas passiert.«
»Auf Kosten meiner Nichte! Vielleicht gar auf Kosten aller Menschen!«
Titania zuckte gleichgültig mit den Achseln. Das Schicksal der Menschheit berührte sie nicht. Hätte die Gräfin sie nicht herbeigerufen und um Hilfe gebeten, hä t te sie nur aus der Ferne zugesehen, eine amüsante Epis o de zwischen Spielen mit ihren Gefährten und dem Regi e ren ihres Reiches. Nach den Maßstäben von Faerie war sie eine weise und würdige Herrscherin, doch in den A u gen eines Menschen wirkte sie wie ein verspieltes, albe r nes Kind, leichtfertig und nur auf das Vermeiden von Langeweile b e dacht.
»Ich kann nichts tun«, sagte sie und beobachtete dabei ihre Finger, mit denen sie verträumt kleine, flatternde Bewegungen vor ihren Augen machte. »So lange ni e mand die Grenze zu meinem Reich übertritt, bin ich machtlos. So sind die Gesetze.«
»Aber Ihr seid die Königin!«, entfuhr es der Gräfin verzweifelt. »Ihr macht die G e setze!«
»Der beste Grund, sie nicht zu brechen.«
Eine Weile lang schritt die Gräfin erregt in ihrer Kammer auf und ab. Schließlich blieb sie stehen. »Und was soll Eurer Meinung nach als Nächstes geschehen?«
»Wir werden sehen.« Titania lächelte noch einmal, bevor ihr Körper zerfaserte wie grüner Rauch. »Aber die Zeichen deuten darauf hin, dass wir alle eine Menge Spaß haben werden. Und das ist doch die Hauptsache, meinst du nicht auch?«
ZWEITER TEIL
Immer dem Faden nach
1. Kapitel
D ie Pferde trugen ihre Reiter durch eine karge, unwirtl i che Landschaft. Der Pfad führte sie entlang eines Krate r randes, dessen Hänge mit Gras und dürrem Besenginster b e wachsen waren. Im Zentrum des Kraters befand sich ein kreisrunder See, auf dessen Oberfläche sich der graue, regnerische Himmel spiegelte. Die Ränder des Gewässers liefen in einem sumpfigen Uferring aus, u m standen von Schilf und farblosem Heid e kraut.
Baans Heimat war eine trostlose Gegend. Vor Jahrta u senden, so erzählte man sich, waren all die runden Fel s becken, die es hier zu Dutzenden gab, feuerspeiende Berge gewesen. Die Hölle, so hieß es, sei durch den B o den gebrochen und habe den wenigen Menschen, die hier lebten, einen Vorgeschmack auf das gegeben, was sie dereinst erwarten mochte. Noch heute kündeten erstarrte Lavafelder von diesen Ereignissen, bucklige Felsgebilde, die aussahen wie die Ruinen fantastischer Schlösser.
Doch hier, darin waren alle sich einig, hatte es niemals Schlösser gegeben. Die Schafhirten und Torfstecher, die sich zwischen Mooren und Hochwäldern angesiedelt ha t ten, lebten abgeschieden in einsamen Hütten und Gehö f ten, die wenigsten hatten sich zu kleinen Dorfgemei n schaften zusammengefunden. Zwischen einzelnen Sie d lungen lagen Entfernungen von einem Tagesritt und mehr, und wer hier oben, a uf den Hochebenen der Eife l berge, vom Weg abkam, der konnte wochenlang umhe r irren, ohne einer Menschenseele zu begegnen.
Reisende mieden diese Gegend und benutzten lieber die alten Heerstraßen, die di e sen Landstrich weitläufig umgingen. Jene aber, die hier lebten, verspürten nur se l ten das Bedürfnis, ihre Heimat zu verlassen, denn kaum ein Hirte oder Köhler besaß ein Pferd, das ihn hätte for t tragen können. Zu Fuß aber war der Weg zur nächsten Stadt kaum zu bewältigen.
Dementsprechend unscheinbar und überwuchert war der Pfad, dem Baans Reite r trupp folgte. Sie hatten das Heim des Ritters fast erreicht. Es lag jenseits des Krate r walls, dort wo der Hang in eine weite, baumlose Hoc h ebene hinabführte.
Das Anwesen derer von Falkenhagen bestand nur aus einem einzigen Bergfried, einem klotzigen, viergescho s sigen Turm, dessen flaches Dach von einem verwitterten Zinnenkranz umschlossen wurde. Es gab keine Weh r mauer und folglich keinen Hof. Lediglich einige Stallg e bäude lehnten windschief an der Wand des Turmes. Z u dem erhob sich neben dem Bergfried eine Kapelle mit
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