Loretta Chase
kannst.«
»Das
reicht«, sagte Darius. »Rob, geh nach Hause. Und mit dir spreche ich
gleich, Pip.«
Rob trollte
sich widerwillig und schnitt Pip Grimassen, bis er um die Ecke verschwunden
war.
Als sie
allein waren und Pip seinerseits mit dem Grimassenschneiden fertig war, sagte
Darius: »Was sollte das gerade?«
»Er ist
genauso groß wie ich, Sir«, sagte Pip. »Jemanden, der genauso groß ist,
darf man ruhig schlagen.«
»Was sollte
das?«
»Er ist so
dumm!«, empörte sich Pip und warf einen wütenden Blick in die Richtung, in
die Rob verschwunden war. »Er hat behauptet, dass Daisy der hässlichste Hund
der Welt wäre.« Mit dem Ärmel wischte er sich das Blut von der Nase.
Mrs. Tyler
würde begeistert sein.
»Wo ist
Daisy?«, fragte Darius und sah sich um.
»Ich habe
sie zurückgebracht. Wenn Lady Litby nach Hause kommt, möchte sie, dass der Hund
da ist. Und sie bleiben ja jetzt immer nur bis mittags.«
»Wenn sie
nicht da war, konnte Rob also auch nicht versuchen, ihr wehzutun«, stellte
Darius fest. »Er hat lediglich eine Bemerkung über ihr Äußeres gemacht. Ist das
ein Grund, sich gleich mit ihm zu prügeln?«
Pip
schüttelte den Kopf. »Nein, Sir. Erst habe ich ja versucht, das so zu klären.
Daisy sei eine Bulldogge und die würden immer so aussehen, habe ich zu ihm
gesagt. Und wie er ein Tier hässlich nennen könnte, habe ich ihn gefragt, wenn
es weder missgestaltet noch widernatürlich wäre? Und da hat er gelacht und
gesagt, so wie meine Augen, die wären auch widernatürlich. Nein, habe ich
gesagt, die wären was Besonderes – so wie Sie es mir gesagt haben. Und da
meinte er, ich sollte mir nichts einbilden, nur weil ich wie der hässliche Hund
der kleine Liebling der Damen von Lithby Hall wäre. Ich habe ihm gesagt, dass
die Damen nur höflich zu mir wären, weil vornehme Damen eben höflich sind –
aber von Höflichkeit hat er wahrscheinlich genauso wenig Ahnung wie vom
Präteritum und Wilhelm dem Eroberer. Und da hat er mich eine Teufelsfratze
genannt und meine Mutter eine Hure, und dann erst habe ich zugeschlagen.«
Als er noch einmal dem längst entschwundenen Rob nachschaute, huschte ein zufriedenes
Lächeln über sein Gesicht.
Dieses
Lächeln.
Darius
kannte dieses Lächeln.
Aber nein.
Das konnte nicht sein.
Als der
Junge ihn wieder anschaute, war das Lächeln verschwunden.
Auf einmal ganz ernst sah er Darius an. »Ich musste doch ihre Ehre verteidigen,
Sir – oder?«, fragte er.
Die Ehre
seiner Mutter.
Die Mutter,
die er nie gekannt hatte, weil sie ihn als Kind weggegeben hatte. Als Kind. Als
Neugeborenen?
Möglich,
aber deshalb musste es ja längst nicht dasselbe Kind sein.
Ein Zufall,
mehr nicht.
»Sir?«,
fragte Pip. »Bekomme ich jetzt Ärger?«
»Wenn du
Mrs. Tyler so unter die Augen kommst, dürftest du einigen Ärger bekommen«,
meinte Darius. »Halt lieber mal kurz deinen Kopf unter die Pumpe. Und deinen
Ärmel auch. Wo ist deine Kappe?«
Der Junge
schaute sich um, entdeckte sie und schnappte sie sich.
Die Kappe.
Darius
musste daran denken, wie Lady Charlotte eben jene Kappe in den Händen gehalten
hatte und sie gar nicht mehr hatte hergeben wollen. Er musste an ihre versonnene
Miene denken.
Außerdem
hatte sie sich höchst sonderbar verhalten, nachdem sie über den Eimer gestolpert
war. Darius dachte an Pip, wie er vor ihr gestanden und sie mit großen Augen
angeschaut hatte ...
... wobei
sein Gesichtsausdruck so sehr jenem geähnelt hatte, den er von ihr so gut kannte.
Hatte sie
sich damals schon gefragt, was Darius sich jetzt fragte?
Als er auf
das Haar des Jungen blickte – derzeit vor Schmutz starrend und zerzaust –, sah Darius
im Geiste Lady Charlotte vor sich, als sie sich mit ihm im Kies gebalgt hatte: eine
zerzauste und beschmutzte Botticelli-Venus.
Bei dem
Jungen entdeckte er denselben Widerspruch: engelsgleiche Schönheit und handfest
verschmutzte Streitlust.
Alles nur
Zufall. Das musste sie sich auch gedacht haben. Wie groß konnte die Wahrscheinlichkeit
schon sein?
Doch sowie
er im Haus war, sah Darius als Erstes noch einmal die
Notizen durch, die er sich im Laufe der letzten Wochen zu Philip Ogden gemacht
hatte.
Sie gaben
ihm für den Rest des Abends zu denken.
Auch als er
dann im Bett lag und sich mit Gedanken daran quälte, wie Lady Charlotte endlich bei
ihm läge, ließ ihn die ungeklärte Frage nicht los.
Bis er
schließlich einschlief, war er zu dem Schluss gekommen, dass er nach Yorkshire
reisen und der Sache auf den Grund
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