Loretta Chase
begleiten, wo man ihrer angesichts des dortigen
Überflusses an Gesinde wahrlich nicht bedurfte.
Aber aus
unerfindlichen Gründen war Molly heute mit ihr gekommen, und sie loszuwerden
erwies sich als schwierig. Schließlich schickte Charlotte sie los, um mit der
Haushälterin zu klären, was mit Lady Margarets Ballkleidern geschehen sollte,
von denen sie einen ganzen Stapel in einer der Fenstertruhen gefunden hatten.
Charlotte wusste, dass die Unterredung länger dauern und gemeinsames Teetrinken
mit einschließen würde, denn Mrs. Endicott war daran gelegen, ihre Beziehungen
zu den höherrangigen Bediensteten des benachbarten Herrenhauses zu pflegen. Als
Zofe von Lord Lithbys Tochter stand Molly in der Hierarchie der weiblichen Dienerschaft
ziemlich weit oben und rangierte gleich nach Lizzies Zofe.
Inmitten
des geschäftigen Treibens, das überall im Haus herrschte –
dem steten Kommen und Gehen von Arbeitern und Gesinde, die allerorten wischten,
schrubbten und hämmerten war es letztlich nicht schwer, sich unbemerkt
davonzustehlen. Unbemerkt zur Wäscherei zu gelangen, erwies sich da schon als
schwieriger. Das Waschhaus lag weiter vom Haupthaus entfernt als die anderen
Nebengebäude, weil es an Waschtagen recht unangenehm nach Lauge riechen konnte.
Aber da
Charlotte sich mittlerweile gut auf dem Anwesen auskannte, fand sie einen Weg,
der vom Herrenhaus aus die meiste Zeit nicht einsehbar war. Würde sie dennoch
entdeckt, musste sie sich eben eine Ausrede einfallen lassen. Und im Lügen
hatte sie ja reichlich Übung.
Mr.
Carsington hatte sie nicht belügen müssen.
Vor ihm
musste sie nichts verbergen, ihm musste sie nichts vormachen. Bei ihm war sie frei
und konnte einfach nur sie selbst sein.
Der Gedanke
war so berauschend, dass ihr schwindelte.
Oder
vielleicht war es einfach pures Glück.
Endlich bei
der Wäscherei angelangt, wollte sie gerade die Tür öffnen, als die auch schon
aufflog, eine große kräftige Hand sie packte und hereinzog.
Er schloss
die Tür hinter ihr, zog sie in seine Arme und küsste sie.
Die Knie
wurden ihr weich. Sie hielt sich an seinen Rockaufschlägen fest und erwiderte
den Kuss innig. Bei ihm wusste sie sich einfach nicht zu beherrschen. Sie
wollte sich auch nicht beherrschen. Sie wollte einfach nur bei ihm, in seinen
Armen sein.
Er roch
nach Sommer und nach reiner, frischer Luft. Sein Rock war noch warm von der
Sonne, und auch sein Kuss wärmte sie in all seiner innigen Vertrautheit. Für
immer hätte sie so bleiben können, an seinen großen, starken Körper geschmiegt,
hätte sich treiben und ihre Gedanken sich verflüchtigen lassen, außer sich vor
Freude wie ein junges, frisch verliebtes Mädchen, während sie sich küssten. Bis
in alle Ewigkeit.
Doch es
endete ebenso plötzlich, wie es begonnen hatte. Er löste sich von ihr und schob
sie entschieden von sich.
»Wir müssen
reden«, sagte er.
Sein Ton
war es, dieser furchtbar ernste Ton, ebenso wie die Distanz, die er zwischen
ihnen geschaffen hatte, die alle Wärme jäh verschwinden ließ.
Und da
plötzlich hörte sie es wieder, als wäre es gestern gewesen: Geordies Stimme an
jenem letzten Tag, so furchtbar ernst. Wir können uns nicht mehr so oft sehen,
hatte er gesagt. Man wird über uns reden. Es wäre besser, wenn ich für eine
Weile wegginge.
»Ich muss
für eine Weile fort«, sagte Mr. Carsington.
Sie
schüttelte den Kopf und konnte es nicht begreifen. Zuviel Aufruhr herrschte in
ihrem Kopf, zuviel Aufruhr in ihrem Herzen. Warum hatte er sie geküsst, wenn er
sie doch im nächsten Augenblick von sich stieß und ihr sagte, dass er
fortmüsse? Besorgt sah er sie an. »Fühlst du dich nicht gut?«
»Nein«,
sagte sie. »Sag es mir einfach geradeheraus. Du musst es mir nicht schonend
beibringen.«
Nun sah er
noch besorgter drein. »Wann hast du mich jemals jemandem etwas schonend beibringen
hören? Ich wüsste gar nicht, wie das geht. Eigentlich sage ich doch immer alles
geradeheraus. Das macht es ja gerade so ...« Er zögerte und meinte dann:
»Aber sag mir doch, was dich beunruhigt.«
»Ich weiß
es nicht genau«, meinte sie. Sei vernünftig, ermahnte sie sich. Er ist
nicht Geordie.
»Es ist
dein Gesicht«, sagte sie schließlich. »Du siehst so ernst aus. Ich hatte
mich gefragt, ob dir wohl Bedenken gekommen wären – meinetwegen.«
»Würdest du
es denn bedauern, wenn mir Bedenken gekommen wären – deinetwegen?«, fragte
er. Kaum merklich neigte er den Kopf und schaute ihr forschend
in die Augen.
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