Loretta Chase
finden.«
Sie war
vorerst mit einem anderen Rätsel befasst. »Colonel Morrell war während der
Saison in London«, sagte sie. »Er war bei vielen der Veranstaltungen
zugegen, die ich besucht habe. Sollte er mich die ganze Zeit beobachtet haben,
dürfte er mir auf die Schliche gekommen sein. Aber ich verstehe noch immer
nicht ...«
»Mach dir
seinetwegen keine Gedanken«, beruhigte Mr. Carsington sie. »Meine
Strategie dürfte er auf Anhieb durchschauen. Ich bin der jüngste von fünf
Söhnen eines Earls. Ich habe keinen Beruf, kein Einkommen außer dem, was mein
Vater mir gewährt, und – von einem heruntergekommenen, ruinösen Anwesen
abgesehen – auch keinen Besitz. Mein einziger strategischer Vorteil ist meine
unmittelbare Nähe zum Objekt der Begierde. Morrell kann mir kaum zum Vorwurf
machen, dass ich diesen Vorteil schamlos für meine Zwecke nutze. Er an meiner
Stelle würde genau dasselbe tun. Männer handeln in solchen Situationen
instinktiv. Sie tun, was immer es in einer solchen Situation bedarf, und sind
bei der Wahl ihrer Methoden nicht zimperlich.«
»Dein
einziger strategischer Vorteil? Du unterschätzt dich – sehr sogar«, fand
sie. »Nicht, was meine Heiratsaussichten anbelangt«, sagte er. »Ich habe
mich des Themas sehr ausführlich und mit gnadenloser Objektivität
gewidmet.«
»Dabei hast
du aber einige deiner Vorzüge außer Acht gelassen«, meinte sie.
»Beispielsweise
deine nicht unbeträchtliche Intelligenz.«
»Intelligenz
ist nicht notwendigerweise ein Vorzug«, sagte er. »Viele Frauen bevorzugen
Männer, die dümmer sind als sie, weil sie sich leichter handhaben lassen.«
»Das
stimmt«, gab sie zu. »Aber bedenke bitte, dass die meisten Frauen auch ein
Auge für Schönheit haben sowie den Wunsch, kräftigen und ansehnlichen Nachwuchs
zu bekommen. Folglich bevorzugen sie Männer, die groß, kräftig und ansehnlich
sind. Weshalb wir dein sagenhaft gutes Aussehen ebenfalls auf die Liste deiner
Vorzüge setzen müssen.«
»Gutes
Aussehen ist nicht gerade das, womit ein Mann sich sagenhaft
hervortun will«, fand er. »Gutes Aussehen ist weit verbreitet. Was einen
Mann viel mehr umtreibt, ist die ewige Frage, wie sagenhaft es um die
Fortpflanzungsorgane seiner Rivalen bestellt ist.«
»Das ist
doch albern«, fand sie. »Als ob wir da Vergleiche anstellen könnten.«
»Albern mag es sein«, entgegnete er, »dennoch ist es wahr. Wir benehmen
uns so, als ob dies ein Kriterium wäre, welches die durchschnittliche junge
Dame mit begrenzter oder gar nicht vorhandener Erfahrung in derlei Dingen bei
ihrer Wahl in Betracht ziehen könnte. Als ob sie stets ein Maßband bei sich
trüge, um bei gegebener Gelegenheit Vergleiche anzustellen.«
Sofort sah
sie ihre jungen, gänzlich unbedarften Cousinen vor sich, wie sie bei der
Hausgesellschaft geschäftig ihre Maßbänder zückten, um ohne mit der Wimper zu
zucken bei den Gentlemen Maß zu nehmen. Sie musste so laut lachen, dass sie
sich rasch die Hand vor den Mund hielt.
Wie um
alles in der Welt sollte sie es schaffen, sich die nächsten Wochen über
anständig zu benehmen und sich von ihm hofieren zu lassen. So, wie es sich
gehörte. Manchmal fragte sie, ob er überhaupt wusste, was sich gehörte.
»Aber du
hast mich von dem abgelenkt, was ich eigentlich sagen wollte«, sagte er.
»Wir müssen ...« Er verstummte und hielt ihr den Mund zu.
Da hörte
auch sie es. Stimmen.
Ihr blieb
keine Zeit zu hören, worüber draußen gesprochen wurde, denn schon hatte Mr.
Carsington sie sich geschnappt und mit sich in die hinterste Ecke der Wäscherei
gezogen, wo er sie auf einen Berg Bettlaken stieß. Dann schnappte er sich einen
der Weidenkörbe und kippte ihr eine Ladung Schmutzwäsche über den Kopf. »Nicht
bewegen«, flüsterte er. »Versuche, so wenig wie möglich zu atmen.«
Raschen
Schrittes hörte sie ihn davoneilen.
Darius
hatte gehofft, dass es Dienstboten wären, die entweder weitere Wäsche brachten
oder einfach nur vorübergingen. Doch sowie er der Tür nah genug war, die
Stimmen deutlicher zu hören,
erkannte er die durchdringende Tonlage Mrs. Badgeleys und die etwas hellere
und leichtere Lady Lithbys.
Mit
grimmiger Entschlossenheit öffnete er die Tür.
»Ah, da
stecken Sie«, sagte Mrs. Badgeley. »Wissen Sie, Sir, so geht das ja
nicht.«
Er würde sich
hüten, seinen Blick zu dem Wäschehaufen hinter sich schweifen zu lassen.
Stattdessen bedachte er die Pfarrersfrau mit einem höflich fragenden Blick. »Er
lebt allein, Mrs.
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