Loretta Chase
Trittweite zu halten, griff Darius nach einem
weiteren Blatt. Eine kleine Kreidezeichnung,
die wohl an der Unterseite hängen geblieben war, löste sich und flatterte auf
den Tisch.
Lady
Charlotte streckte die Hand danach aus, aber Darius war schneller.
»In London
lehre ich«, sagte er. »Aber die Natur lehrt mich. In Derbyshire vor allem
– gar nicht weit von hier. Mein Bruder Alistair lebt nahe Matlock Bath. Wer ist
dieses liebliche Geschöpf, Lady Charlotte? Ich kann leider nicht lesen, was
daruntersteht.« Das Bild zeigte eine Frau, die auf den Stufen eines
Cottage saß und einen Säugling in den Armen wiegte.
Lady
Charlotte riss ihm die Zeichnung aus der Hand. »Es muss mal heruntergefallen
sein«, sagte sie. »Eines der Mädchen wird es beim Putzen aufgehoben und zu
den anderen Blättern gelegt haben. Es gehört nicht dazu. Das ist eine der
Frauen aus dem Dorf mit ihrem Kind. Eine der pittoresken Szenen, die man junge
Damen zeichnen lässt. Wenn Sie mich nun entschuldigen würden, meine Herren,
würde ich Sie gern Ihrer ausführlichen Erörterung der Milch Wirtschaft
überlassen.«
Sie eilte
aus der Bibliothek.
Das war
höchst sonderbar, dachte Darius.
Morrell
musste sich Ähnliches gedacht haben, denn seine Stirn legte sich in
nachdenkliche Falten, als er sich umdrehte und Lady Charlotte hinterherschaute.
Doch keiner der beiden machte eine Bemerkung zu dem kleinen Zwischenfall. Mit
unerschütterlicher Höflichkeit tauschten sie sich über Meiereien, Brauereien
und Backhäuser aus. Sie waren sich darin einig, dass die Hauswirtschaftsräume
auf Lithby Hall äußerst praktisch gelegen und optimal nutzbar waren. Dann kam
Mrs. Badgeley herein, weckte ihren Mann, woraufhin sie alle zusammen in den
Salon zurückkehrten.
Darius
hielt sich von Lady Charlotte fern. Er konnte noch immer nicht fassen, welch
leichtfertiges Wagnis er in der Bibliothek eingegangen war. Schließlich war er
keine fünfzehn mehr. Er sollte es besser wissen. Gerade jetzt brauchte er einen
klaren Kopf. Er würde es seinem Vater zeigen. Er würde Beechwood
wieder auf Vordermann bringen. Er würde sich nicht mit der unverheirateten
Tochter eines Adeligen in die Bredouille bringen.
Aber
eigentlich steckte er ja schon mitten in Schwierigkeiten, und das war ganz
allein seine Schuld. Wie zum Teufel sollte er Lady Lithbys Renovierung seines
Hauses bezahlen?
Ganz
einfach: Er würde es nicht bezahlen. Er konnte es gar nicht. Irgendwie musste
er aus der Sache nur wieder rauskommen.
Er
versuchte noch immer, sich über das »Irgendwie« klar zu werden, als die
Gesellschaft langsam ihr Ende fand. Und dann, gerade als er sich von seinen
Gastgebern verabschiedete – und sich auf eine lange schlaflose Nacht voll der
Selbstvorwürfe freute –, kam Rettung von ganz unerwarteter Seite.
»Meine Frau
hat mir erzählt, dass sie sich Ihres Hauses anzunehmen gedenkt«, sagte
Lord Lithby. »Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, Sir: Sehen Sie sich
vor. Man mag es bei ihrer zierlichen Statur kaum vermuten, aber wenn Sie ihr
freie Hand lassen, wird sie Sie in Grund und Boden trampeln.«
»Ich will
nicht hoffen, dass ich gar so schlimm bin!«, meinte Lady Lithby lachend.
»Eigentlich möchte ich Mr. Carsington nur ein gemütliches Zuhause schaffen.
Oder wie Charlotte so schön gesagt hat: einen Ort des Friedens, an dem er nach
eines langen Tages Arbeit Ruhe finden kann.«
»Deine und
seine Vorstellungen hinsichtlich eines gemütlichen Zuhauses dürften kaum
dieselben sein«, wandte Lord Lithby ein. »Mr. Carsington ist ein Mann der
Wissenschaft, meine Liebe. Ich hatte bislang nicht den Eindruck, dass er so
gesellig zu leben wünscht, wie wir es tun. Und die neuesten Moden und Dekors
sind ihm sicher ziemlich gleichgültig.«
Seine
grauen Augen ruhten wohlwollend auf Darius. »Sie müssen sich wehren, junger
Mann. Sagen Sie meiner Frau ruhig ganz offen und ehrlich, was Sie wollen.«
Finger weg von meinem Haus, hätte Darius am liebsten gesagt.
Das war
allerdings keine sonderlich diplomatische Antwort, und selbst er wusste, dass
er besser daran täte, sie für sich zu behalten.
»Zunächst
einmal möchte ich das Haus nur bewohnbar machen«, sagte er. »Zu einem
späteren Zeitpunkt würde ich Maßnahmen zu seiner Verschönerung in Betracht
ziehen.«
»Da hörst
du es, Lizzie: Sauber und ordentlich soll es sein«, hielt Lord Lithby
fest. »Mehr nicht. Danach lass den Mann mal wieder seine Arbeit tun, die, wie
du weißt, durchaus von größerer Bedeutung
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