Loretta Chase
ist, als farblich zu den Tapeten
passende Vorhänge zu finden.«
Derweil
hatte sich Lady Charlotte zu ihnen gesellt, weshalb Darius sich nicht länger
aufhalten wollte, sich höflich verabschiedete und rasch den Rückzug antrat.
Er konnte
ihr trotzdem nicht entkommen.
Während des
ganzen Ritts zurück nach Altrincham plagte sie ihn sehr hartnäckig. Zu dem
ersten Geheimnis um ihre Person war nun noch ein weiteres Rätsel gekommen, das
es zu lösen galt: ihre höchst sonderbare Reaktion auf die Zeichnung der Frau
mit dem Kind ... die seltsame Regung, die kurz über ihr schönes Gesicht
gehuscht war, eine Regung, die er überhaupt nicht erwartet hatte.
War es
Trauer, die er wahrgenommen hatte?
Herrgott,
warum eigentlich nicht?, fragte er sich ungehalten. Sie war ein junges Mädchen
gewesen, als sie ihre Mutter verloren hatte. Warum sollte das Bild einer Mutter mit
ihrem Kind sie nicht auch Jahre später noch schmerzlich an ihren Verlust erinnern?
Auch Hunde
trauerten um ihren Herrn. Es sollte sogar Tiere geben, die vor Kummer starben.
Bei den Vögeln gab es einige Spezies, die den Tod eines Partners ein Leben lang
betrauerten und sich danach nie wieder paarten.
Warum
sollte dann eine Frau – ganz gleich in welchem Alter – nicht auch nach Jahren noch um
ihre Mutter trauern?
Und doch
...
»Die Pest
soll sie holen«, brummte er. »Was zum Teufel schert es mich?«
Seine
verwehrte Lust kümmerte das wenig.
Dieser
Hals. Dieser Busen. Dieser runde, warme Hintern. Fast meinte er ihn noch immer zu
spüren, weich an seine Lenden geschmiegt.
»Hör
auf«, sagte er. »Hör auf, daran zu denken. Es wird sowieso nichts daraus.
Immer schön
dran denken: Sie ist unberührt. Vergiss sie.«
Konnte er
aber nicht.
Es war zum
Verrücktwerden. So schön und wohlgeboren und reich und siebenundzwanzig
und nicht verheiratet...
Widernatürlich,
das war es. So etwas gehörte verboten.
Er wandte
sich in Gedanken dem Gasthof zu, in dem sein behagliches Bett und zwei willfährige
Dienstmädchen seiner harrten, deren eine oder beide ihm in seinem behaglichen
Bett Gesellschaft leisten könnten.
Und doch
...
Letztlich
verbrachte er die Nacht allein.
Eastham Hall, nahe Manchester
Sonntagabend, 16. Juni
Nun, da Colonel Morrell aus London
zurückgekehrt war, pflegte er seine Sonntage mit seinem Onkel, dem Earl of
Eastham, auf dessen Stammsitz vor den Toren Manchesters zu verbringen.
Pünktlich
am Morgen fand er sich ein, um den mürrischen alten Mann zur Kirche zu
begleiten, und harrte bis zum späten Abend oder frühen Montagmorgen auf Eastham
Hall aus.
Colonel
Morrell tat dies nicht aus Zuneigung. Er hatte seinen Onkel noch nie leiden
können. Lord Easthams einzige gute Eigenschaft war seine Abneigung gegen
Frauen, die ihn stets von einer Heirat abgehalten hatte. Da er es versäumt
hatte, einen Sohn und Erben zu zeugen, würde sein ältester Neffe, der Colonel,
einen alten Titel, einige weitläufige Anwesen und einen großen Batzen Geld
erben.
Vor einem
Jahr hatte Lord Eastham entschieden, dass sein Neffe den Dienst im Ausland
quittieren und sich in heimischen Landen Verwaltungsaufgaben widmen solle,
damit er sich darauf konzentrieren könne, sich eine Frau zu suchen und
Stammhalter zu zeugen. Ohne seinen Neffen zu fragen, hatte Seine Lordschaft
seinen nicht unbeträchtlichen Einfluss
geltend gemacht und alles in die Wege geleitet.
Obwohl er
es gewohnt war, Befehle zu empfangen und auszuführen, war der Colonel es nicht
gewohnt, dass sein Leben von den Launen eines zänkischen Zivilisten bestimmt
wurde. Nachdem er auf Geheiß seines Onkels nach England zurückgekehrt war,
hatte seine Gemütsverfassung mörderische Züge angenommen. Doch dann hatte einer
seiner Dienstoberen beim Militär, ebenfalls auf Geheiß seines Onkels, ihn mit
zu einem großen Ball nach London genommen. Dort hatte Colonel Morrell Lady
Charlotte Hayward kennengelernt.
Was den
Hass des Colonels auf seinen Onkel nicht einen Deut minderte. Es versöhnte ihn
jedoch ein wenig damit, unnütz seine Zeit in England zu vertun und sich zu Tode
zu langweilen, statt tun zu können, wozu er berufen war.
Lady
Charlotte war nicht langweilig. Ganz im Gegenteil, sie war faszinierend. Ihr
Geschick im Umgang mit Männern war einzigartig. So etwas hatte er noch nie
gesehen. Wie machte sie das nur? Und warum machte sie das? Er hatte sofort
erkannt, wie nützlich eine solche Frau einem ehrgeizigen Mann mit begrenzter
Erfahrung auf dem gesellschaftlichen Parkett sein
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