Loretta Chase
wenn sie Ratten fangen konnte, musste sie schnell wie
der Blitz und furchtlos sein. Dem äußeren Anschein zum Trotz – das eingedrückte
Gesicht und die schiefen Zähne, die aus der feuchten Schnauze ragten – musste
sie auch intelligent sein.
Friedlich,
nett und gut erzogen. Klüger, als es den Anschein hatte. Und doch gefährlich.
Eigentlich
ganz ähnlich der Dame, die eben gegangen war.
»F für
Fremdsprachen«, brummte er.
Daisy gab
ein leises Knurren von sich – und widmete sich dann wieder mit mahlenden
Kiefern Forsythes Predigten.
Darius
betrachtete derweil das feuchte und zerknitterte Linnen in seiner Hand. »Die
Pest soll sie holen«, sagte er grimmig. Dann drückte er sich das
Taschentuch ans Gesicht und ergötzte sich an der noch frischen weiblichen
Duftmarke.
Wie sie so
in blinder Hast durch die Halle eilte, wäre Charlotte um ein Haar mit ihrer
Stiefmutter zusammengestoßen.
Wenngleich
Charlotte am liebsten geradewegs aus dem Haus und nach Hause gerannt wäre,
blieb sie stehen und hieß sich sehr, sehr ruhig zu werden.
Lizzies
Blick wanderte von der beschmutzten Spitzenhaube hinab zu den staubigen
Schuhspitzen. »Ich wage kaum zu fragen«, sagte sie.
»Ich habe
Mr. Carsingtons Bücher eingeräumt«, sagte Charlotte.
»Ganz
allein?«
Charlotte
nickte. »Die Dienstboten hatten Wichtigeres zu tun.« Die Wahrheit war
indes, dass sie der Versuchung nicht hatte widerstehen können, in seinen
Habseligkeiten herumzustöbern. Eines Mannes Bücher verrieten einem einiges über ihn,
pflegte Papa gern zu sagen. Das traf allerdings nur auf jene Männer zu, welche
die Bücher, die sie besaßen, auch lasen. Manche kauften karrenweise Bücher, nur
um damit ihre Bibliothek zu füllen und Besucher zu beeindrucken. Doch sie
wusste, dass Mr. Carsington keiner dieser Männer war. Er war sich seiner selbst
sehr sicher, war keiner dieser Emporkömmlinge, die sich mühsam die
gesellschaftliche Leiter hinaufstrampelten, und es schien ihn herzlich wenig zu
kümmern, welchen Eindruck er auf andere machte.
Sie hatte
gehofft, seine Bücher würden ihr etwas über ihn verraten. Für gewöhnlich fiel
es ihr nicht schwer, einen Mann einzuschätzen und die jeweils passende Methode
zu bestimmen, sein Interesse schnellstmöglich von ihr abzulenken, ohne dass es
den Anschein hatte. Aber er bereitete ihr erhebliche Schwierigkeiten. Was
vermutlich damit zusammenhing, dass sie bei ihrer ersten Begegnung völlig
unvorbereitet gewesen war. Sie hatte sich überrumpelt gefühlt und unbedacht
reagiert. Und seitdem tat sie sich schwer, ihn auf die ihm gemäße Weise zu
handhaben.
»Da er ein
Gelehrter ist«, sagte sie zu ihrer Stiefmutter, »dachte ich, dass es ihm
wichtiger wäre, seine Bücher zur Hand zu haben als seine Stühle neu bezogen zu
finden.«
»Ja, ich
habe die Kisten gesehen«, sagte Lizzie. »Er hat ganz schön viele Bücher.
Kein Wunder, dass du so erhitzt und derangiert bist.«
Charlotte
war nicht so leicht zu erschöpfen, sie war ein robustes Mädchen vom Land, wie
ihre Stiefmutter wohl wusste. Vermutlich ging sie an einem einzigen Tag mehr zu
Fuß als andere Frauen ihres Standes im ganzen Jahr. Selbst an einem warmen und
drückenden Tag wie diesem würde es sie wohl ein wenig anstrengen und erhitzen,
stundenlang eine Leiter hinauf und hinab zu steigen und kistenweise Bücher
einzuräumen, doch es würde sie kaum erschöpfen.
Auf keinen
Fall würde es sie derart in Wallung bringen, wie Mr. Carsington es vermocht
hatte, als er plötzlich zur Bibliothek hereingestürmt gekommen war. Ohne Hut,
das golden schimmernde Haar vom Wind zerzaust. Er war außer Atem gewesen, und
seine breite Brust hatte sich schwer gehoben und gesenkt.
Dann erst
war auch sie außer Atem geraten.
Dann erst
war ihre Temperatur in schwindelerregende Höhen geschossen, und sie hatte zu
schwitzen begonnen, als hätte sie in der Mittagshitze Steine geschlagen.
Gern hätte
sie geglaubt, so außer sich zu geraten, weil er sie bei einem unschicklichen
Fauxpas ertappt hatte. Aber eigentlich machte es ihr Spaß, sich ein wenig
danebenzubenehmen, und dabei erwischt zu werden, bedeutete lediglich, dass sie
sich eine gute Ausrede einfallen lassen musste, was ihr noch mehr Spaß
bereitete.
Sie hatte
ihm das unschuldige Dummchen vorgespielt – doch warum nur plagte ihr Gewissen
sie deswegen? Lügen, Täuschen und Intrigieren gehörten ganz selbstverständlich
zum Repertoire einer Dame. Ebenso der fälschliche Eindruck unerschütterlicher
Contenance.
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