Loretta Chase
Doch da sie es bedauerlicherweise nicht waren,
überließ er alles Weitere seinem Kammerdiener und verzog sich in die
Stallungen, wo er es wenigstens nur mit einem einzigen Stallburschen,
namentlich Joel Rogers, aufnehmen musste.
Darius
hatte versprochen, die Pflastersteine zu begutachten und darüber zu
entscheiden, ob sie ausgebessert oder ersetzt werden sollten. Gleiches galt für
das reichlich antiquierte Ablaufsystem.
Als er sich
den Stallungen näherte, kam bereits sein Bursche auf ihn zu. »Sie haben es
schon gehört, Sir?«, fragte Rogers. »Die Stute ist fertig gesattelt. Ich
dachte mir, Sie wollen bestimmt sofort losreiten.«
»Was
gehört?«, fragte Darius und spürte, wie seine Nackenhaare sich sträubten.
»Na, von dem Unfall, Sir. Draußen auf Ihrer Straße.«
Die Welt um
ihn her verschwamm und ließ ihn frösteln, als ob ein kalter Nebel sich über
alles gelegt hätte. »Was für ein Unfall?«, fragte Darius ruhig.
»Der von
Lady Charlotte, Sir. Und von Lady Lithby«, sagte sein Stallbursche. »Es
heißt, sie wären in einer Wagenspur hängen geblieben und hätten sich ein Rad
gebrochen. «
Im Geiste
sah Darius Lady Charlottes geschundenen Leib vor sich, der auf einer Leiter
nach Hause getragen wurde. Um das albtraumhafte Bild zu verdrängen, stellte er
Fragen. Viel mehr wusste der Stallbursche allerdings auch nicht. Er hätte es
vom Hufschmied gehört, der den Wagen erkannt hätte, als er hergefahren war. Im
Nu saß Darius im Sattel.
Es dauerte
nicht lange, die Stelle zu finden, doch wegen der zahlreichen Furchen,
Schlaglöcher und Wagenspuren kam er nur mühsam voran. Er fand den Einspänner
umgestürzt am Straßenrand. Eines der Räder war gebrochen, und auch die Deichsel
schien beschädigt.
Dann
entdeckte er Blutflecken. Seine unerschütterliche Logik sagte ihm, dass dies
nicht notwendigerweise auf ein verheerendes Unglück hindeuten müsse. Denn wäre
ein solches Unglück geschehen, so die Logik, hätte die Nachricht sich längst
wie ein Lauffeuer verbreitet. Da es seine Straße war, räsonierte die Logik
weiter, hätten längst schon aufgebrachte Nachbarn an seine Tür gehämmert, um
ihm davon zu berichten und bei der Gelegenheit gleich den Zustand der Straße
anzumahnen. Ebenso gut hätte die Logik in den Wind reden können.
So schnell
die zerklüftete Straße ihn ließ, stob Darius davon nach Lithby Hall. Als er
dort eintraf, machte alles seinen gewohnten Eindruck. Kein Weinen und Wehklagen
drang aus den offenen Fenstern, kein Gesinde stand im Hof versammelt und harrte
bang der Neuigkeiten, wie das im Falle eines schweren Unglücks zu erwarten
wäre.
Er sah zu
den Fenstern hinauf. Und dachte an Lady Charlotte, wie sie sich mit seinem
Taschentuch die erhitzte Brust abgetupft hatte. Er erinnerte sich an die
lockende Duftmarke,
die er gewittert hatte.
Darius
stellte sich vor, wie gleich an einem der oberen Fenster die Vorhänge
zurückgerissen würden und ihm eine Dame enthüllten, die aus ihrem Bad stieg,
nackt wie die Venus Botticellis und mit ebenso güldenem Haar, das ihr lang
über die Schultern fiel, während die frühe Abendsonne ihre seidige Haut golden
schimmern ließe.
Hast du den
Verstand verloren?, fragte er sich. Du solltest lieber hoffen, dass ihr nichts
zugestoßen ist, das nach mehr als einem Bad verlangte. Du solltest hoffen, dass
besagter golden schimmernder Leib unversehrt ist.
Bei den
Stallungen angekommen, hörte er laut zeternde Stimmen.
Kein gutes
Zeichen.
Einer der
Stallburschen, der a.m Torrahmen lehnte und dem Streit mit sichtlicher
Begeisterung zusah, drehte sich nach Darius um. Eilig verließ er seinen Posten,
um dem Besucher zur Hand zu gehen.
Darius sprang
aus dem Sattel, überließ dem Burschen sein Pferd und wollte sich gerade
erkundigen, was es Neues gäbe, als eine vertraute Frauenstimme das Geschimpfe
und Gemurre der Männer übertönte. »Nein, es muss nur mit warmem Wasser
gereinigt werden! Geben Sie mir das Tuch, Jenkins. Nein, Fewkes – keine
Widerrede. Moment. Ich muss mich konzentrieren.«
Darius trat
an das Stalltor.
Lady
Charlotte stand ihm den Rücken zugewandt in einer der Boxen
und sprach beschwichtigend auf das Pferd ein, dem sie behutsam die Schulter
wusch.
Eine so
große Erleichterung erfasste ihn, dass ihm schier die Knie nachgaben. Er
stützte sich mit der Hand am Stalltor ab und gab sich betont lässig. Nicht,
dass ihm überhaupt jemand Beachtung geschenkt hätte.
Die beiden
Männer drinnen im Stall waren viel zu
Weitere Kostenlose Bücher