Loretta Chase
waren das fehlende Teil
eines Puzzles.
Ein solches
Geheimnis mit sich herumzutragen war eine schwere Bürde für jede Frau – und sie
hatte sie größtenteils allein getragen, wie es schien. Gewiss war ihr zu
gegebener Zeit geholfen worden, die Angelegenheit zu verbergen, denn ihr
Geheimnis war erstaunlich gut verborgen geblieben. Nicht ein leises Raunen
hatte er gehört, und das war auf dem Lande selten, wo in den Dörfern jeder
jeden kannte und alle alles wussten. Auch was sich im Herrenhaus zutrug, blieb
meist nicht lange ein Geheimnis.
Und doch
war es ihr Geheimnis geblieben, ihr Kummer, ihre heimliche Bürde – und welch
schwere Bürde es war.
Er musste
an die Zeichnung von Mutter und Kind denken, die in der Bibliothek aus einer
der Mappen gefallen war. Schon damals hatte er gemeint, tiefe Trauer zu spüren.
»Es tut mir
leid«, sagte er. »Es tut mir so leid.«
Sie weinte
an seiner Brust, ein stilles, verzweifeltes Schluchzen, das sie am ganzen Leib
erbeben ließ.
»Es tut mir
leid«, sagte er wieder. »Es tut mir leid.«
Er hielt
sie in den Armen, während sie weinte, und er hielt sie auch dann noch in seinen
Armen, als sie sich langsam wieder beruhigte.
»Ich bin
kein g...gutes Mädchen«, murmelte sie in seinen Rock. »Ich habe keine
Ehre. Ich bin f...falsch und feige. Gleich nach der der Geburt habe ich ihn w..
.weggegeben. Das werde ich mir nie verzeihen.«
»Du
meintest, es wäre vor langer Zeit gewesen«, sagte er und streichelte ihr
tröstend den Rücken. »Du warst noch sehr jung.«
»Ich war
s.. .sechzehn, als ich ihn traf«, sagte sie. Sie wich etwas zurück und
kramte ein Taschentuch aus ihrem Rock hervor, das aus wenig Tuch und viel
unnützer Spitze bestand. Sie wischte sich die Tränen ab und putzte sich die
Nase. »Geordie Blaine. Er war Offizier. So umwerfend in seiner Uniform. So nett
und verständnisvoll – so dachte ich zumindest. Aber für ihn war ich bloß eine
weitere Eroberung. Er hat mich bekommen, hat mich verlassen und schließlich in
einem Duell den Tod gefunden. Natürlich nicht meinetwegen. Ich trug derweil
sein Kind und wusste es nicht mal. So naiv war ich – ich, die auf dem Land groß
geworden bin. Aber Molly hat es gemerkt, und sie hat
es Lizzie gesagt, ich habe die beiden gebeten, Papa nichts davon zu erzählen.
Sie haben mich nachYorkshire gebracht. Es hieß, ich sei krank und bräuchte eine
Luftveränderung. Bei der Geburt wäre ich fast gestorben. Ich erinnere mich kaum
noch daran – außer daran, dass ich mir gewünscht hatte zu sterben. Danach war
ich wirklich lange Zeit krank.«
Ihr Kummer
und ihre Schuldgefühle dürften sie so krank gemacht und ihre körperliche
Schwäche nach der Geburt noch verstärkt haben, dachte er. Ihre sogenannte
Auszehrung, von der alle sprachen, war aller Wahrscheinlichkeit nach
Melancholie.
Er strich
ihr eine Haarsträhne aus der Stirn.
»Darüber
müssen wir bei Gelegenheit in Ruhe reden«, sagte er. »Ganz ausführlich.
Aber nicht jetzt. Wir waren lange allein hinter verschlossener Tür, viel
länger, als der Anstand gebietet. Arbeiter und Gesinde tratschen bestimmt
schon. Nun bleibt mir nur eines zu sagen: Wir können die Vergangenheit nicht
ändern. Wir können nur jetzt, nur immer in diesem Augenblick unser Bestes
geben. Und im Augenblick wäre es für uns das Beste zu heiraten.«
»Das kann
ich nicht«, sagte sie. »Ich kann nicht zulassen, dass du wegen einer
einzigen Unbedachtheit aufgibst, was dir so viel bedeutet.«
»Du
bedeutest mir viel«, erwiderte er.
»Aber ich
bin eine Erbin«, erinnerte sie ihn. »Ich bin reich. Du hast kürzlich erst
gesagt ...«
»Das war
vorher.«
»Aber ich
möchte nicht, dass du meinetwegen alles aufgibst«, sagte sie. »Ich will,
dass du Beechwood wieder aufbaust. Als du mir davon erzählt hast und ich
begriffen habe, welch große Herausforderung du angenommen hast, war ich
begeistert. Ich war so ... stolz. Du darfst mich nicht heiraten – zumindest
nicht, ehe du geschafft hast, was du dir vorgenommen hast.«
»Unsinn«,
sagte er. »Was, wenn du schwanger bist?«
»In zwei
Wochen werde ich es wissen«, sagte sie. »Wenn ja ...« Sie verstummte
und erstarrte.
Er hörte es
auch. Stimmen. Stimmen, die eindeutig näher kamen. Bekannte Stimmen. Lady
Lithby. Und die Haushälterin.
Darius
eilte zur Tür und öffnete sie. Dann sagte er – so laut, dass es bis auf den
Flur zu hören war: »Wenn ich es genau bedenke, Lady Charlotte, so würde ich den
Tisch doch gern behalten. Ein
Weitere Kostenlose Bücher