Loretta Chase
gar nicht mittellos.«
»Er verfügt
über keine eigenen Mittel, hat keinen eigenen Besitz«, sagte Olivia. »Nichts,
das ihm, und nur ihm allein, gehörte. Er hat kein geregeltes Einkommen, nur
seinen Unterhalt ...«
»Der nicht
zu knapp bemessen ist«, stellte Vater klar. »Den ich sogar noch großzügig
aufstocken wollte, nachdem er hier so fabelhafte Arbeit geleistet hat.«
»Es sind
Zahlungen, die Sie ihm nach Gutdünken gewähren oder verwehren können«, sagte
Olivia. »Es ist nicht sein Geld.«
Nun endlich
schien Vater begriffen zu haben, denn er hörte jäh auf, durch die Halle zu
pirschen, und sah nachdenklich drein. »Ist das die einzige Hürde?«, fragte er.
»Geld?«
»Geld«,
bestätigte Olivia. »Aber nicht nur. Selbst einer großen Summe mangelt es an ...
Substanz. Viel lieber wäre mir Grundbesitz. Wäre Lisle begütert, könnte niemand
ihn mehr einen Mitgiftjäger nennen.« Sie ließ ihren Blick durch den großen Saal
schweifen, dessen hohe Wände nun mit Gemälden und Tapisserien behängt waren. »Wie
wäre es denn mit Gorewood Castle?«, überlegte sie laut. »Ja, doch, warum
eigentlich nicht? Jetzt, wo ich darüber nachdenke ... Das würde vollauf
genügen. Überschreiben Sie ihm Gorewood Castle, und ich werde ihn heiraten,
sobald Sie wünschen.«
Am
selben Abend
In einem Monat würde es eine große
Hochzeit geben. Damit Olivia ihnen bis dahin nicht doch noch entwischte, hatten
Lord und Lady Atherton prompt einen Diener nach Edinburgh geschickt und einen
Anwalt herbeizitieren lassen, der die entsprechenden Papiere aufsetzte sowie
Gorewood Castle mit all seinen Liegenschaften, Einkünften und so weiter und so
fort auf den Earl of Lisle überschrieb.
Bei
Sonnenuntergang war alles geregelt.
Kurz darauf
legten Olivia und Lisle vor ihren Eltern, den Damen Cooper und Withcote, Lord
Glaxton samt Anhang und der versammelten Dienerschaft das Eheversprechen ab.
Aillier
bereitete ein fabulöses Abendessen, gefolgt von köstlichem Backwerk, das er
seinem schändlichen Ofen abgerungen hatte.
Lange saßen
sie im großen Saal beisammen und feierten.
Dass Lisle
und Olivia sich schließlich davonstahlen, wurde mit einem Lächeln hingenommen.
Je eher die
Ehe vollzogen wurde, desto besser, sagten sich die Eltern.
Lisle
führte Olivia hinauf aufs Dach.
Sorgsam
verriegelte er die Türen hinter ihnen.
Er hatte
warme Felle und Decken mit hochgebracht, denn mittlerweile war November,
schottischer November, und es war verdammt kalt. Heute jedoch meinten
Schottlands wankelmütige Wettergötter es gut mit ihnen und hatten alle dunklen
Wolken vom Himmel geblasen.
Olivia
lehnte sich in seine Umarmung und blickte zum Nachthimmel hinauf. »Ein
funkelnder Sternenteppich«, meinte sie. »Noch nie habe ich so viele Sterne
gesehen.«
»Gorewood hat durchaus seine Reize«, sagte er. »Es hat eine bessere
Behandlung verdient, als mein Vater es ihm hat angedeihen lassen.« Er zog sie
an sich und küsste sie. »Das war brillant. Du warst brillant.«
»Skrupellos
und bar aller Prinzipien, eine brillante Lügnerin und Betrügerin«, sagte sie.
»Stimmt, ich war in Bestform.«
»Es war
eine brillante Idee.«
»Es schien
die naheliegendste Idee. Wer könnte Gorewood ein besserer Burgherr sein als
du?«
»Und wer
könnte besser vollbringen, was niemandem sonst je gelingt: meinen Vater dazu zu
bewegen, etwas aufzugeben, das er weder will noch etwas damit anzufangen
weiß, von dem er sich aber trotzdem nicht trennen mag?«
»Wenn wir
es geschickt anstellen, bekommen wir auch noch deine Brüder.«
»Wenn sie
etwas älter sind, will ich, dass sie auf eine gute Schule gehen«, sagte er. »Mir
hat es im Internat nie sonderlich gefallen, aber sie sind anders als ich. Ich
glaube, sie wären dort glücklich.«
»Wirst du denn hier glücklich sein?«, fragte sie.
»Natürlich«,
erwiderte er. »Hin und wieder. Doch du weißt, dass ich mich hier nie werde heimisch
fühlen.«
»Das
brauchst du auch nicht. Das verlange ich gar nicht von dir. Dafür haben wir ja
Herrick.«
Er lachte.
»Meine erste Tat als Burgherr von Gorewood Castle wird darin bestehen, ihn zum
Hausverwalter zu befördern. Ach, Olivia, es ist herrlich, freie Hand zu haben.
Fast wie in Ägypten. Wie wunderbar, all das tun zu können, was ich für gut und
richtig halte. Meine Gewissensbisse hätten mich verzehrt, würde ich die
Menschen hier meinem Vater überlassen haben. Nun muss ich ihm nicht mal von Jock
und Roy erzählen. Wenn er davon erfährt, kann er
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