Loretta Chase
noch
allerlei Tanten, Onkel, Großtanten und Anwälte. Irgendwann war ich so weit, auf
Jack zu verzichten, wenn sie nur endlich aufhörten, mich zu quälen. Aber er
meinte, sein Leben wäre ohne mich nicht lebenswert, und ich war gerade mal
sechzehn – ein Mädchen, Rathbourne, nicht mehr als ein unbedarftes Mädchen –,
und ich liebte ihn so sehr.« Wie es wohl war, fragte er sich, so sehr
geliebt zu werden?
Welcher
Mann wollte so sehr geliebt werden, wenn er wusste, dass der Preis dieser Liebe
war, dass ihr nur noch mehr Kummer beschert würde?
»Sechzehn«,
sagte er, betont unbefangen. »Wie lange das her ist. Mir ist, als wäre ich
damals ein gänzlich anderer gewesen.
»Warst du
verliebt?«, fragte sie.
»Oh ja,
natürlich. Wann wäre man jemals wieder so verliebt wie in diesem Alter? War
Romeo nicht auch sechzehn?«
Sie
lächelte. »Erzähl mir von ihr.«
Schon lange
hatte er nicht mehr an die Verliebtheiten seiner Jugend gedacht. Er hatte es
sich nicht erlaubt, denn es erschien ihm wenig ratsam, den hoffnungsfrohen,
aufgeregten Idealismus jener Tage mit der gelangweilten Unzufriedenheit zu
vergleichen, die sein Erwachsenenleben zu bestimmen schien. Darüber
nachzudenken, könnte einen geradezu bedrücken. Man könnte gar so unvernünftig
werden, sich bis in alle Ewigkeit nach längst Vergangenem zu sehnen. Doch
verschwunden waren die Erinnerungen nicht. Sie warteten nur darauf,
hervorgeholt zu werden. Ihretwegen holte er sie hervor, gab sie preis, wie
schon so vieles.
Er erzählte
ihr von der hübschen Schwester eines Schulkameraden, die sein Herz gestohlen
hatte, als er sechzehn war – und die es gebrochen und ihm all seinen Lebensmut
geraubt hatte ... bis er einen Monat darauf einem anderen hübschen Mädchen
begegnete.
Während er
so erzählte, wurde ihm auf einmal vieles klar.
Liebe war
zu jener längst vergangenen Zeit eine großartige, erschreckende, verwirrende
Angelegenheit gewesen. Und so schmerzlich. Da er sich nie gestattet hatte, über
seine frühen Erfahrungen nachzusinnen, hatte er auch den Schmerz vergessen. Die
Erinnerungen blieben, aber die Gefühle waren schwach und schwer zu greifen.
In der
Erinnerung wurden seine Schuljungen-Schwärmereien auf einmal so gegenstandslos
wie Träume, obwohl sie ihm damals sehr wirklich und wichtig erschienen waren.
Doch alles
verblasste.
Junge
Liebe. Die Träume der Jugend.
Auch Trauer
– ebenso wie die Schuldgefühle, die so oft mit ihr einhergingen. Er hatte Ada
nicht geliebt, was ihm damals nicht weiter schlimm erschienen war. Denn bis zum
Tag ihrer Heirat hatte er sich erfolgreich davon überzeugt, dass romantische Liebe
etwas war, das in Gedichten und auf der Bühne, nicht aber im Leben Bestand und
Berechtigung hatte. Nun fragte er sich, ob er vielleicht auch deshalb aufgehört
hatte, daran zu glauben, weil er als Erwachsener nie jemanden gefunden hatte,
der starke Gefühle in ihm geweckt hätte.
Und doch
hatte er seine Frau auf seine Weise – eine sehr ungenügende Weise, wie er nun
wusste – geliebt, und ihr Tod war ein schwerer Schlag gewesen, der ihn eine
Zeit lang völlig aus der Bahn geworfen hatte.
Er war so
wütend gewesen – zuerst auf sie, dann auf sich selbst als er zu verstehen
versucht hatte, was zwischen ihnen geschehen war. Aber irgendwann waren die
Gefühle von Wut und Schuld verblasst.
Was er für
Bathsheba Wingate empfand, würde auch verblassen, sagte er sich. Diese Zeit mit
ihr war ein Traum, nur ein kurzer, flüchtiger Augenblick seines Lebens. Einige
wenige, seltsame und aufregende, ganz und gar nicht alltägliche Tage. Eine
Gefühlsverirrung. Ei?ie kurze Affäre hatte sie es genannt. Eine vorübergehende
Laune. Ein Fauxpas. Ein Kavaliersdelikt.
So musste
er die Sache sehen. Ihretwegen.
Und so
setzte er eine belustigte Miene auf und schlug einen leichten Ton an, als er
seine Handvoll jugendlicher Verliebtheiten beichtete. Danach unterhielt er sie
noch mit Alistairs weitaus zahlreicheren romantischen Katastrophen und Ruperts
verrückten Eskapaden. Einen gewissen Ausgleich schaffte der nüchterne Geoffrey,
der sich im Gegensatz zu seinen Brüdern schon als kleiner Junge entschieden
hatte, wen er heiraten wollte, dieser Entscheidung treu geblieben war und
schließlich seine Cousine geheiratet hatte.
Gerade war
Benedict dabei, über Darius' jüngst an den Tag gelegtes Verhalten und seine
Zukunft Mutmaßungen anzustellen, als ein Holzscheit im Kamin funkensprühend
barst und ihn aus seinen Träumereien riss. Er
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