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Loretta Chase

Loretta Chase

Titel: Loretta Chase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein skandalös perfekter Lord
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vermissen. Olivia hatte mehr
geweint, als ihm lieb gewesen wäre. Mama auch.
    Das war nun
drei Jahre her, aber Mama war immer noch nicht wieder sie selbst. Und Olivia
wusste auch genau warum: Weil sie nämlich arm waren, und arme Leute waren
meistens traurig und nicht sie selbst. Sie hatten immerzu Hunger oder waren
furchtbar krank und elend oder lebten in erbärmlichen Behausungen oder gleich
im Arbeitshaus oder Schuldnergefängnis und wurden von anderen armen Leuten
betrogen, ausgeraubt und verprügelt. Die bösen Armen kamen ins Gefängnis oder
wurden in die Verbannung geschickt oder an den Galgen, und die guten Armen
litten so sehr, als ob sie böse wären und es nicht anders verdient hätten. Es
war unerfreulich, arm zu sein, und unschicklich war es zudem.
    Für
Aristokraten war alles anders. Sie hatten keine Sorgen und konnten tun, was
immer ihnen gefiel, und niemand verhaftete sie oder hatte überhaupt etwas
dagegen, wenn sie sich schlecht benahmen. Sie lebten in riesigen Häusern mit
Heerscharen von Bediensteten, die sich um sie kümmerten. Ein Adeliger brauchte nicht zu
arbeiten. Selbst wenn er ein Bild malte, brauchte er es nicht zu verkaufen, um
Geld zu verdienen. Er brauchte quengeligen, verwöhnten Kaufmannstöchtern keine
Zeichenstunden zu geben, wie Olivias Mutter es tat.
    Und dabei
war Mama selbst eine Aristokratin. Ihr Ururgroßvater war ein Earl, und sein
Urenkel lebte in der Nähe von Bristol in einem riesigen Haus. Es hieß
Throgmorton und wurde von Dutzenden von Bediensteten in Schuss gehalten. Mamas
Mutter war die Tochter eines Sir Irgendwer. Ihre Großmutter war die Cousine
zweiten Grades von Lord Irgendwer-Anders. Eigentlich hatten alle Verwandten von
Mama blaues Blut in den Adern.
    Das Problem
war nur, dass es zwei Arten von DeLuceys gab – die guten und die schlechten –
und Mama hatte leider das tragische Unglück gehabt, dem schlechten Zweig der
Familie entsprossen zu sein.
    Sie gehörte
zu den Ungeheuerlichen DeLuceys, die von all den anderen Lords und Ladys und
Sirs gemieden wurden, weil ... na ja, weil sie wirklich ziemlich verkommen und
böse waren.
    Mama war
aber nicht verkommen und böse, was eine große Tragödie und der Grund all ihrer
grausamen Leiden und ihrer betrüblichen Armut war.
    Sie war
eine Unschuld in Nöten, genau wie die Heldinnen in den
Rittergeschichten, von denen Lord Lisle behauptete, es wären nur Legenden. Aber
der war auch dumm und hatte überhaupt nichts begriffen.
    Das waren
nicht nur Legenden, und hätte er Mamas ganze Geschichte gekannt, würde er
bestimmt nicht solche garstigen, verdrießlichen Dinge gesagt haben, der blöde
Doofkopf.
    Ritter gab
es schließlich auch, und sie mussten heutzutage keine schimmernde Rüstung mehr
tragen, und Männer mussten sie auch nicht sein.
    Olivia war
der Ritter, der ihre Mutter retten würde.
    Das war die
Idee.
    Sie wusste
zwar noch nicht genau, wie sie die Idee in die Tat umsetzen sollte, aber
immerhin wusste sie schon, dass es dazu Geld brauchte.
    Deshalb
hatte sie in der Egyptian Hall, nachdem ihr Zorn verraucht war und sie wieder
klar denken konnte, beschlossen, Lord Lisles Potenzial zu erschließen. Er war
der erste Adelige, der seit Papas Tod in ihre Reichweite geraten war. Und da
sie wusste, dass es eine ganze Weile dauern könnte, bis sie wieder mal einem so
nah käme, hatte Olivia die Gelegenheit beim Schopf gepackt.
    Wie kaum
anders zu erwarten sehr zum Missfallen von Mama.
    Am
Mittwochabend kam sie höchst verstimmt nach Hause.
    »Heute sind
mir Lord Rathbourne und Lord Lisle bei Popham über den Weg gelaufen«, ließ
sie Olivia wissen, noch während sie ihren schäbigen Umhang ablegte. »Lord
Rathbourne?«, wiederholte Olivia und tat so, als versuche sie sich zu
erinnern, wer das war.
    »Du weißt
ganz genau, wer er ist«, meinte ihre Mutter. »Du hast dich mit seinem
Neffen angelegt. Und dann hast du versucht, den armen Jungen als Zeichenschüler anzuwerben.«
    »Ach,
der«, sagte Olivia. »Ich hatte dir doch gesagt, dass der Junge mir
leidtat. Es war so offensichtlich, dass er händeringend Hilfe beim Zeichnen
brauchte.«
    »Und wir
brauchen ganz offensichtlich händeringend Geld«, erwiderte ihre Mutter.
»Aber da hast du dich geschnitten.«
    Rasch
begann Olivia den Tisch zu decken. Ihre Mutter beobachtete sie mit strenger
Miene. Sie sah gar nicht gut aus. Unter den Augen hatte sie tiefe Schatten, und
ihre Haut war blass. Arme Mama!
    »Du hast
recht, Mama«, beschwichtigte Olivia. »Es ist ja bekannt,

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