Loretta Chase
Hill, wenn nicht gar schlimmer.«
Peregrine
runzelte die Stirn.
»Nicht,
dass es deine Sorge sein müsste, wo sie zu wohnen wünscht«, fuhr Benedict
fort. »Du willst also morgen ins Britische Museum. Dann solltest du mit Thomas
gehen. Ich wüsste nicht, was ich solange dort machen sollte, während du
zeichnest.«
»Genau«, pflichtete Peregrine ihm bei. »Sie würden sich
fürchterlich langweilen. Natürlich weiß ich, dass ich mich genauso benehmen
muss, als hätte ich Zeichenstunde. Selbst wenn einer der Museumsdirektoren
zufällig vorbeiläuft, werde ich ihm nichts von dem roten Granitsarkophag
erzählen, der im Innenhof steht und um dessentwillen Tante Daphne sich solche
Sorgen macht, obwohl es wirklich schändlich ist, Sir, wie sie Signor Belzoni
behandelt haben ...«
»Und eines
nicht zu fernen Tages wird Rupert die Direktoren deswegen zum Fenster
hinauswerfen«, unterbrach ihn Benedict. »Du aber wirst deinen Mund
halten.« Das hätte ihm jetzt gerade noch gefehlt, in das Gerangel um
Belzonis Funde verstrickt zu werden: die leidige Frage, was wem gehörte und wer
dafür zu zahlen hatte. Bislang hatte er Daphnes Versuche, ihn für ihr Anliegen
zu gewinnen, behutsam abgewiesen. Es gab schon genügend Anliegen, für die er
sich einsetzte. Das derzeit drängendste war Peregrines Zukunft.
»Bei meiner
Ehre, Sir, ich werde kein Wort darüber verlauten lassen«, beteuerte
Peregrine.
»Sehr gut.
Dann kannst du mit Thomas gehen.«
Zutiefst
erleichtert, eine unangenehme Angelegenheit so rasch beigelegt zu haben, ging
Lord Rathbourne seines Weges.
Er sah
nicht den schuldbewussten Blick, mit dem sein Neffe ihm nachschaute.
Kapitel 5
Britisches
Museum
Samstag,
22. September
Peregrines Schuld rührte daher, dass er eine
der beiden Damen Wingate unerwähnt gelassen hatte, die nun auf einem kleinen
Sitzschemel neben dem seinen saß. Sie skizzierten einen kolossalen
Pharaonenkopf aus rotem Granit mit teils zertrümmerter Krone: der Kopf des
jungen Memnon, den Belzoni aus Ägypten hergebracht hatte.
Anders als
die Egyptian Hall war das Museum nur selten von Besuchern überlaufen, da es
angeblich sehr schwer war, an Eintrittskarten zu kommen. Manche sagten gar, es
sei einfacher, Zutritt zu Almack's Assembly Rooms zu bekommen – dem exklusivsten
Treffpunkt der Londoner Gesellschaft.
Wie Olivia
Wingate sich eine Karte verschafft hatte, wusste Peregrine nicht. Er wollte es
lieber auch gar nicht wissen.
Obwohl die
Räume heute menschenleer waren, sprachen sie beide nur im Flüsterton
miteinander und achteten darauf, ihre Bleistifte stets geschäftig über das Papier
huschen zu lassen.
»Es dürfte
kein Problem für mich sein, dir nach Edinburgh zu schreiben«, versicherte
Olivia ihm.
Es wäre
aber besser, wenn sie ihm nicht schriebe, dachte Peregrine bei sich. Ihre
Briefe waren gefährlich.
Er sollte
gar nicht mit ihr hier sein. Nicht einer der Erwachsenen in seinem Leben würde
das gutheißen. Denn erstens war sie unehrlich. Heute beispielsweise glaubte
ihre Mutter, Olivia wäre mit einer Schulfreundin und deren Mutter hier.
Wenngleich
auch Peregrine seinem Onkel nicht erzählt hatte, mit wem er hier war, so hatte
er doch nicht richtig gelogen.
Trotzdem hatte er ein schlechtes Gewissen. Sie hingegen schien gar kein
Gewissen zu haben.
Das wusste
er. Er wusste, dass sie einem nur Ärger einbrachte. Aber er schien einfach
nicht anders zu können. Sie war so schrecklich unwiderstehlich wie eine
gruselige Geistergeschichte – man konnte nicht aufhören, bis man den Schluss
kannte.
»Lesen die
Erwachsenen etwa alle deine Briefe?«, fragte sie.
Er
schüttelte den Kopf. »Nicht die von Schulfreunden oder von der
Verwandtschaft.«
»Dann ist es ja ganz einfach«, fand sie. »Da sie die
Schrift eines Verwandten wahrscheinlich erkennen würden, werde ich so tun, als
wäre ich ein früherer Schulfreund von dir. Ich schreibe einfach seinen Namen
und seine Anschrift auf den Brief und verstelle meine Schrift so, dass sie wie
eine Jungenschrift aussieht.«
Oh, das
klang zu verführerisch! Olivias ungeheuerliche Briefe würden gewiss ein wenig
Abwechslung in seinen öden Schulalltag bringen. Aber war es nicht ein
Verbrechen, was sie ihm vorschlug? Wenn der Onkel es herausfand ...
»Du bist
ganz blass«, stellte sie fest. »Wahrscheinlich kommst du nicht genug an
die frische Luft. Oder du isst nicht ordentlich. Wenn ich du wäre, würde ich
mir davon, dass ich nach Edinburgh geschickt werde, nicht den Appetit
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