Loretta Chase
Studium
von Belzonis Sammlung noch nicht abgeschlossen. Überhaupt ist es unsinnig, so
überstürzt aufzubrechen. Bis ich in Edinburgh bin, hat das Schuljahr sowieso
längst begonnen. Wenn man schon der Neue sein muss, dann sollte man wenigstens
mit den anderen Neuen zusammen anfangen dürfen. Jetzt muss ich der neueste Neue
sein und viel wertvolle Zeit mit dummen Raufereien verschwenden, wo ich doch
genauso gut hier bleiben und in Ruhe Griechisch und Latein lernen und meine
Hieroglyphentabellen vervollständigen könnte.«
Peregrine
ließ sich von nichts und niemandem einschüchtern und sich erst recht von den
anderen Jungen herumkommandieren. Aus diesem Grund, und weil er meistens der
Neue war, hatte er einen Großteil seiner Schulzeit damit verbracht, sich mit
den Fäusten zu behaupten.
»Dessen bin
ich mir bewusst«, erwiderte Benedict. »Tatsache ist jedoch, dass dein
Vater es so wünscht und du ihm gehorchen musst.« Er ließ unerwähnt, dass
er gedachte, zuvor noch ein Wörtchen mit Lord Atherton zu reden. Benedict ließ
auch keine Andeutung dahingehend fallen, dass er beabsichtigte, mit dem Jungen
– wenn irgend möglich – geradewegs nach London zurückzukehren und einen
anständigen Hauslehrer einzustellen, was man schon Vorjahren hätte tun sollen.
Er wollte
keine vergebliche Hoffnung in seinem Neffen wecken. Denn, wie gesagt, ein Sohn
hatte seinem Vater zu gehorchen.
Eltern
müssen mit Respekt behandelt werden, selbst wenn man ihnen am liebsten den Hals
umdrehen würde.
Was immer
Benedict auch für Peregrine zu tun bereit war, er würde ihn nicht zum Ungehorsam
ermutigen.
»Ich
dachte, er hätte Ihnen alle Verantwortung für mich aufgebürdet«, sagte
Peregrine. »Zumindest scheint Lord Hargate auch dieser Ansicht zu sein, denn
schließlich hat er Ihnen – und nicht Papa – aufgetragen, einen Zeichenlehrer
für mich zu suchen. Und was soll überhaupt aus meinem Zeichenunterricht werden?
Gerade jetzt, wo ich anfange, erste Fortschritte zu machen! Doch, es
stimmt«, beharrte er, als Benedict
skeptisch die Brauen hob. »Mrs. Wingate hat es selbst gesagt, und Sie würde mir
niemals schmeicheln. ,Lord Lisle, wie ich sehe, haben Sie wieder mit Ihren
Füßen gezeichnet', sagt sie immer, wenn meine Zeichnung mal wieder besonders
schlimm war.« Er lächelte versonnen. »Sie bringt mich richtig zum
Lachen.«
»Das kann
ich verstehen«, sagte Benedict. Sie hätte ja sogar ihn fast zum Lachen
gebracht. In der Egyptian Hall, als sie ihre Tochter wegen deren Attacke auf
Peregrine ins Kreuzverhör genommen hatte. Und vor Pophams Laden hätte er am
liebsten lauthals gelacht – über ihre Reaktion, als er ihr sagte, dass
Peregrine Ambitionen habe, und über ihre Antwort darauf. Oder heute, als sie
meinte, sich Benedict in den Weg geworfen zu haben.
Sie war
lustig. Sie sagte und tat Dinge, die er nicht erwartete.
Noch immer
konnte er ihr Lachen hören.
»Nun denn,
da kann man wahrscheinlich nichts machen«, fügte Peregrine sich und
schloss sein Buch. »Zwei Wochen bleiben mir immerhin noch. Ich werde versuchen,
das meiste aus dieser Zeit zu machen.«
Benedict
hatte mit weitaus heftigerem Widerstand gerechnet. Peregrine hatte ihn längst
nicht mit so vielen Warums und Wiesos bestürmt wie sonst. Vielleicht hatte er
ja endlich begriffen, dass das Verhalten seines Vaters nur selten auf Vernunft
beruhte und es daher wenig brachte, nach logischen Gründen zu fragen.
Gewiss ein
Zeichen der Reife. Schließlich wurde der Junge ja langsam erwachsen. »Würden
Sie mir bitte erlauben, Sir, morgen ins Britische Museum zu gehen?«,
fragte Peregrine. »Ich möchte mich noch einmal am Kopf des jungen Memnon
versuchen. Ich hatte Mrs. Wingate gefragt, ob wir nicht am Samstag eine Extrastunde
machen und zum Zeichnen ins Britische Museum oder in die Egyptian Hall gehen
könnten, aber sie hat keine Zeit. Sie meinte, sie wäre morgen fast den ganzen
Tag am Soho Square.«
»Wahrscheinlich
eine Porträtsitzung«, mutmaßte Benedict. Einem der Kaufleute, deren
Töchter sie unterrichtete, dürfte ihr Talent aufgefallen sein.
»Nein, ich
glaube, sie wollte sich dort Zimmer anschauen«, sagte Peregrine. Benedict
vermutete, dass Soho Square manchen als eine Verbesserung zum Bleeding Heart
Yard erscheinen mochte. Doch beide Adressen waren wenig erfreuliche oder
respektable Gegenden. »Davon würde ich ihr abraten«, sagte er. »Sie ist schlecht
beraten, in die Nähe von Seven Dials zu ziehen. Das ist genauso schlimm wie
Saffron
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