Loretta Chase
berühmte
Selbstbeherrschung geschehen.
Er umfasste
ihren Nacken und zog sie an sich und küsste sie, wie er sie von dem Moment an,
da er sie das erste Mal gesehen hatte, hatte küssen wollen.
Als er
spürte, wie sie erstarrte, beschwichtigte sein Verstand ihn wie aus weiter Ferne, dass
keine Gefahr drohe. Sie würde ihn von sich stoßen und ihm höchstwahrscheinlich
eine saftige Ohrfeige verpassen.
Sie stieß
ihn nicht von sich.
Jäh wurde
ihr Körper weich und nachgiebig, und ihr Mund bewegte sich unter dem seinen,
erwiderte seinen Kuss. Ihr seidiges Haar kitzelte seinen Handrücken, bat
geradezu darum, sich um seine Finger zu schlingen. Der Dult ihrer Flaut schlich
sich wie ein heimtückischer Hauch in seine Sinne, und das Verlangen, dem
nachzugeben er sich so strikt verweigert hatte, erwachte in ihm zu ungeahntem
Leben.
Sein Körper
erinnerte sich daran, wie der ihre sich angefühlt hatte, als er sie getragen
hatte, wie sie in seinen Armen gelegen, wie ihre weichen Rundungen sich an ihn
geschmiegt hatten. Sein Körper hatte nach mehr verlangt, und es hatte ihn
gehörige Anstrengung gekostete, hernach mit ihr vernünftig zu reden, ohne sich
seinen Verdruss anmerken zu lassen.
Aber das
war vorher gewesen. Nun war jetzt, und ihn interessierte nur noch der
Augenblick. Er umfasste ihr Gesicht und trank dürstend. Er schmeckte Träume,
Jugend und Sehnsucht – der Geschmack einer weinseligen Nacht, der Geschmack zu
vieler einsamer Nächte.
Selbstverständlich
war er weder betrunken noch einsam, und er wusste es auch besser, als sich nach
seiner Jugend und deren Träumen, deren Leidenschaften zu sehnen. All das lag
hinter ihm. Seit Jahren schon. War längst verloren.
Spätestens
da hätte er die Gefahr erkennen, hätte verstehen müssen, was sich in ihm regte,
und hätte aufhören sollen.
Aber nichts
lag ihm jetzt ferner als logisches Denken. Und so war er auch nicht in der Lage
zu erkennen, dass er mit dem Feuer spielte, und begriff auch nicht, warum ihm
die Gefahr so viel verlockender schien als gesunder Menschenverstand. Er
begriff nur noch, dass dies ganz köstlich nach Frau schmeckte, noch dazu nach
einer Frau, die tabu war, was es umso unwiderstehlicher machte.
Ihre Finger
schlichen sich seinen Rock empor, packten ihn beim Revers. Er spürte ihre Hände
sich auf seiner Brust zu Fäusten ballen, und das Herz pochte ihm so heftig wie
einem Jungen, dem ein Mädchen das erste Mal Ja gesagt hat. Er tastete unter
ihrem Kinn nach den Bändern ihrer Haube, löste sie und zog sie ihr vom Kopf.
Mit beiden Händen fuhr er durch ihr Haar, und die glänzenden Locken wanden sich
um seine Finger, wie er sich das gewünscht hatte, und sie waren noch weicher
und seidiger, als er es sich vorgestellt hatte. Alles an ihr war mehr, als ein
Mann sich je vorstellen konnte, und er wollte mehr.
Er zog sie
fest an sich und vertiefte den Kuss, um ihr Geheimnis zu kosten. Seine Hände
glitten ihren Rücken hinab zu ihrer Taille und wieder hinauf, doch als er ihre
Brüste berührte, riss sie sich los.
Mit
erstaunlicher Kraft stieß sie ihn von sich. »Nein! Genug!« Sie wandte sich
ab und hob ihre Haube vom Boden der Droschke auf. »Oh, das war sehr
verwerflich.« Sie setzte die Haube auf und band die Bänder mit fahrigen
Fingern. »Das war unverzeihlich dumm. Was ist nur los mit mir? Ich kann es
nicht fassen ... Wie töricht! Ich hätte
Sie schlagen oder Ihnen wenigstens auf den Fuß treten sollen. Fast könnte man
meinen, ich wüsste gar nichts von Männern. Das war ein furchtbarer
Fehlerl« Schließlich fand er seine Stimme wieder und auch einen letzten
Rest Verstand. »Ja, das war es«, sagte er.
Er raffte
seine berühmte Beherrschtheit zusammen und half Mrs. Wingate aus der Droschke.
Wie stets
der perfekte Gentleman.
»Auf
Wiedersehen«, sagte er.
Ohne ein
Wort der Erwiderung eilte sie davon. Im nächsten Augenblick schon war sie in
der Dämmerung verschwunden.
Leise, fast
lautlos, fluchte er. Dann machte er sich daran, die Scherben seiner einst so
wohlgeordneten Welt aufzulesen.
Kapitel 6
Freitag, 5. Oktober
Um den
Unterlakaien nicht
weiter in das Geheimnis einweihen zu müssen, hatte Peregrine in der Mauer nahe
des Gartentors ein paar Steine gelockert und eine Art Postamt eingerichtet.
Dort konnte Olivia oder einer ihrer Komplizen ihre Briefe ablegen und jene von
Peregrine abholen. Obwohl sie ein Mädchen war, bewegte sie sich viel freier in
London als Peregrine.
Anders als
er hatte sie auch keine Bediensteten, die
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