Loretta Chase
Vorsichtsmaßnahmen hatte jemand herausgefunden, wer Peregrine
war, und ihn entführt.
Gemeinsam
mit Thomas ging Benedict hinauf in das Zimmer des Jungen. Eine kurze
Durchsuchung ergab keine Hinweise darauf, dass Peregrine sein Verschwinden
geplant hatte. Es fehlten keine Kleider, sagte Thomas, außer jenen, die Lord
Lisle heute getragen hatte. Bei genauerer Befragung enthüllte ihm der Lakai
indes zwei aufschlussreiche Informationen. Erstens hatte der Junge vor zwei
Wochen im Britischen Museum die Bekanntschaft eines rothaarigen Mädchens
gemacht. Zweitens hatte er in letzter Zeit eine Vorliebe für den Garten entwickelt,
dem er mehrmals täglich einen Besuch abstattete.
Benedict
musste ein Blumenbeet zerstören und einige Sträucher, ehe er die losen Steine
in der Gartenmauer entdeckte. An einem klebte ein Stück Siegelwachs sowie ein
Fetzen Papier.
Abermals
ging Benedict hinauf in Peregrines Zimmer. Sein Blick fiel auf die Fensterbank,
von der aus man in den Garten blickte. Oft hatte er seinen Neffen dort
angetroffen, über eines seiner Bücher gebeugt. Wenige Minuten später hatte
Benedict die Briefe gefunden, verborgen zwischen den Seiten von Belzonis
Entdeckungsreisen.
Lange dauerte es nicht, bis Lord Lisle
Nat Diggerby außer Gefecht gesetzt und bewusstlos an den Straßenrand befördert
hatte. Doch lange genug, um eine Menge Schaulustiger anzuziehen, was Olivia
Gelegenheit gab, sich unbemerkt davonzustehlen.
Die kleine
Ansammlung weckte die Neugier von Passanten, was wiederum den Verkehr
behinderte. Folglich stauten sich zu beiden Seiten der Mautschranke Gefährte,
Pferde und Fußgänger auf der Straße. Unter jenen, die so zum Warten gezwungen
waren, befand sich ein junger Bauer, der einen kleinen Pferdekarren fuhr.
Olivia trat an ihn heran. Tränen standen ihr in den großen blauen Augen. Von
bebender Lippe floss ihr eine herzergreifende Geschichte über eine dem Tode
geweihte Mutter in Slough.
Zutiefst
bewegt, bot der Bauer ihr an, auf seinem Karren bis Brentford mitzufahren. Sie
kletterte hinein.
Noch ehe
sie die Mautschranke passiert hatten, kam Lord Lisle neben ihnen einhergerannt.
»Du garstiges Mädchen!«, sagte er. »Das werde ich nicht zulassen.«
»Oh, sehen Sie nur, mein armer Bruder«, erklärte sie dem Bauern. »Er
ist vor Trauer ganz von Sinnen. Ich habe ihm gesagt, er soll in London bleiben,
sich eine Arbeit suchen. Irgendwann wird er schon etwas finden, ganz gewiss.
Aber er ...«
Und so
spann sie die tragische Geschichte ihrer leidvollen Familie weiter. Der Bauer
schluckte alles. Schließlich sagte er zu Lord Lisle, wenn er wolle, dürfe er
seine Schwester gern begleiten.
Mit
panischem Blick sah Lord Lisle sich um. Zwei Soldaten hatten sich Nat Diggerby geschnappt
und zerrten ihn mit sich zum Wachhäuschen. Lord Lisle kletterte in den Karren.
Bathsheba zündete eine weitere Kerze an und
las den Brief noch einmal, denn beim ersten Mal hatte sie noch gemeint, ihren
Augen nicht trauen zu können.
Nach
abermaliger Lektüre wurde sie wütend.
Olivias
Vorgehen kam ihr sehr bekannt vor. Nach derselben Methode waren auch ihre
Eltern verfahren, wenn sie in Schwierigkeiten steckten. Statt sich den Dingen
zu stellen und sie der Reihe nach anzupacken und zu lösen, hatten sie stets
darauf vertraut, dass irgendein aberwitziger, hirnverbrannter Plan all ihre
Probleme mit einem Schlag aus der Welt schaffen würde. Lieber setzten sie ihr
Geld auf eine Würfelpartie, als damit die Miete zu zahlen.
Sie warf
den Brief hin. »Warte nur, mein Mädchen – wenn ich dich erwische!« Nur
musste sie dafür zuerst ihre Tochter finden.
In dem
Brief fand sich zwar kein Hinweis auf ihr Ziel, doch schrieb Olivia, dass sie
Edmund DeLuceys legendären Schatz finden wollte. Dieses Detail sagte alles. Sie
war unterwegs nach Throgmorton, dem Landsitz des Earl of Mandeville, denn dort,
so hatte Jack ihr erzählt, liege der Schatz vergraben. Und warum auf die
langweilige Mama hören, wenn Papas Geschichten doch viel abenteuerlicher und
romantischer waren?
Die Frage
war nur, wie groß ihr Vorsprung war. Nicht mehr als ein paar Stunden, vermutete
Bathsheba. Hätte Olivia die Schule geschwänzt, würde Bathsheba längst von Miss
Smithson gehört haben. Nein, weit konnte sie nicht sein. Mit etwas Glück hätte
sie ihre Tochter in ein paar Stunden eingeholt.
Doch um ihr
folgen zu können, brauchte Bathsheba Geld, was wiederum bedeutete, dass sie
zuvor zum Pfandleiher musste. Sie wusste zwar nicht, wo hier in der
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