Loretta Chase
fassen? Am liebsten würde er sie schütteln, bis sie zur Vernunft kam.
Er zwang sich, seine noch immer geballten Hände zu lösen. Er rang um Geduld.
»Sie hatten Ihre Tochter bei sich«, sagte er ruhig. »Einer allein
reisenden Frau gegenüber verhält man sich gemeinhin anders als einer Mutter
gegenüber, die mit ihrem Kind reist.«
»So ein
Unsinn«, erwiderte sie und wandte sich brüsk ab. »Reine Zeitverschwendung,
hier mit Ihnen zu streiten. Ich werde tun, was ich tun wollte, bevor Sie hier
auftauchten.« Sie marschierte zu ihren auf dem Boden angehäuften
Habseligkeiten und schnürte sie zu einem Bündel.
Sie hatte
gesagt, sie wollte zum Pfandleiher gehen.
Benedict
überlegte, wie er sie davon abhalten könne, ohne sie bewusstlos zu schlagen
oder sie in eine Zwangsjacke zu stecken und an ein schweres Möbel zu fesseln.
»Lassen Sie
das«, sagte er in jenem Ton, den er ansonsten undisziplinierten
Parlamentariern vorbehielt. »Vergessen Sie den
Pfandleiher. Wir werden uns zusammentun und mit vereinten Kräften
vorgehen.«
»Wir können
nicht ...«
»Sie lassen
mir ja keine andere Wahl, störrisches Weib«, sagte er. »Gehängt soll ich
sein, wenn ich Sie allein fahren ließe.«
Während sie ihre Haube und ihren Umhang holte
und was immer sie sonst noch meinte, unterwegs zu benötigen, versuchte
Benedict, seine Zunge und seinen Verstand wieder in Einklang zu bringen.
Niemals
sprach er so zu Frauen.
Er war
stets geduldig mit ihnen.
Aber sie
...
Sie war ein
Problem.
Und es
wurde keineswegs besser, als sie – nach ein paar kurzen Worten mit Mrs. Briggs
– aus dem Haus traten.
»Eine
Karriole?«, sagte sie entgeistert und blieb mitten auf der Treppe stehen,
um das Gefährt zu mustern, das am Bordstein stand. »Ein offenes Gespann?«
»Dachten
Sie vielleicht, ich nehme den Vierspänner?«, erwiderte er. »Glauben Sie
vielleicht, ich will bei einer solchen Tour auch noch einen Kutscher
dabeihaben?«
»Aber nein, das geht nicht«, beharrte sie. »Dieser Wagen
ist viel zu vornehm.«
»Er ist gemietet, müsste mal wieder frisch lackiert
werden und ist mindestens zehn Jahre alt«, sagte er. »Sie haben nicht die
leiseste Ahnung, was vornehm ist. Steigen Sie ein.«
Sie packte
ihn beim Arm und starrte Thomas an, der die Pferde hielt. »Wir können nicht mit
einem Dienstboten reisen«, sagte sie entschieden.
Geduld,
mahnte Benedict sich. »Jemand muss sich um die Pferde kümmern«, sagte er
geduldig. »Sie werden ihn überhaupt nicht bemerken. Er wird hinten auf dem
Aufsitz sitzen, die vorbeiziehende Landschaft betrachten und sich seine eigenen
Gedanken machen.«
Sie zog ihn
am Arm näher zu sich, reckte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte ihm ins
Ohr: »Es beweist nur, wie außer sich Sie sind, dass Sie ihn mit hierhergebracht
haben. Dienstboten tratschen ganz ungeheuerlich, schlimmer noch als alte Damen.
Bis morgen Abend wird ganz London darüber Bescheid wissen, was Sie getan haben
und mit wem.«
Ihr Atem
kitzelte Benedict warm am Ohr. Allzu sehr auch war er sich der zarten Hand
bewusst, die noch immer seinen Arm gepackt hielt.
Kurz
entschlossen schnappte er sich Mrs. Wingate, hob sie hoch und verfrachtete sie auf die
Sitzbank.
Als er
ebenfalls hineinkletterte und sich neben sie setzte, sagte sie: »Dürfte ich Sie
daran erinnern, dass wir uns im 19. Jahrhundert befinden und nicht im neunten?
Derlei Benehmen ist zusammen mit Kettenhemden und Schnabelschuhen aus der Mode
gekommen.«
Thomas
eilte sich, auf dem Dienstbotensitz Platz zu nehmen.
Benedict
ließ die Pferde antraben, ehe er etwas erwiderte.
»Ich bin es
nicht gewohnt, mich zu erklären, Mrs. Wingate«, setzte er an.
»Zweifellos«,
befand sie.
Um
Beherrschung ringend, biss er die Zähne zusammen, und bevor er gar noch anfing,
mit selbigen zu knirschen, rief er sich eine Regel in Erinnerung: Frauen und Kinder
bedürfen, bedingt durch ihre kleineren Gehirne und ihrer damit einhergehend
geringeren Verstandeskraft, eines größeren Maßes unserer Geduld und Nachsicht.
Und so
sagte er geduldig: »Thomas ist nicht mit den Londoner Dienstboten zu
vergleichen. Er ist ein Bursche vom Land, der auf unserem Familiensitz in
Derbyshire aufgewachsen ist. Wenngleich er nun mein Lakai ist, kennt er sich
mit Pferden doch mindestens ebenso gut aus wie ein jeder meiner Stallknechte.
Ich habe ihn schon vor Wochen, seit Peregrine seine Zeichenstunden begonnen
hat, ins Vertrauen gezogen. Würde ich nicht hundertprozentig auf seine
Diskretion
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