Loretta Chase
vollzumachen, hatte er Thomas als Sicherheit im Gasthof zurücklassen müssen,
denn natürlich hatte das durchtriebene Weib nicht die Güte gehabt, die Rechnung
zu bezahlen.
Allein
einem glücklichen Zufall war es zu verdanken, dass Benedict überhaupt durch das
Haupttor und auf das Anwesen gelangt war. Da er nicht wusste, was für eine
Geschichte sie erzählt oder als wen sie sich ausgegeben hatte, hatte er sich
einfach ganz dumm gestellt und gefragt, ob seine Herrin des Weges gekommen
wäre. Sein Glück, dass sich heute noch keine weiteren Besucherinnen eingestellt
zu haben schienen, denn niemand fragte, wer denn seine Herrin sei.
Benedict
würde sie umbringen.
Aber dazu
musste er sie erst mal finden.
Am
Dienstboteneingang stellte er sich wieder dumm, spielte den
unbedarften Burschen vom Lande und wurde abermals fraglos eingelassen. In der
Küche herrschte hektische Betriebsamkeit.
»Aha, Sie
kommen also wegen Mrs. Wingate«, stellte die Haushälterin fest. »Was ich
so gehört habe, soll sie ziemlich außer sich gewesen sein, als sie hier ankam.
Könnte mir denken, dass sie nicht auf Sie warten wollte. Mit Keble hatte sie
auf jeden Fall ziemlich wenig Geduld. Er hat sich ordentlich von ihr
einschüchtern lassen. Joseph meinte, so was hätte er sein Lebtag noch nicht
erlebt. Er meinte, sie hätte Keble glatt über den Haufen gerannt, wenn er sie
nicht reingelassen hätte. Und unser Mr. Peter hat sowieso nur Augen für ihr
Gesicht und alles darunter, nicht wahr?«
»Was ja auch ganz schön
ansehnlich ist«, bemerkte ein Diener, der mit einem Tablett unberührter
Sandwiches zurückkam. »Er kann auch gar nicht aufhören, sie anzustarren. Sitzt
da wie ein Fisch, dem das Maul auf und zu klappt, als hätte er noch nie 'ne
Frau wie sie gesehen. Hat er vielleicht auch nicht, wo er doch immer in Watte
gepackt worden ist und in der Schule nur mit lauter pickeligen Jungs zusammen
war, die alle genauso scharf waren wie er selbst.«
Rathbourne
musterte ihn mit regloser Miene. Solches Gerede seitens der Dienstboten würde
in keinem Haushalt der Carsingtons je geduldet werden.
»Was hast
du denn sonst noch so gehört, Joseph?«, wollten alle zugleich wissen. »Oh,
sie hat ihnen eine rührselige Geschichte aufgetischt, bei denen die Weiber
gleich das Heulen bekommen haben – irgendwas von entführten Kindern und
Piratenschätzen und Gefahr um Leib und Leben«, berichtete Joseph und genoss
es sichtlich. »Und die andern ... tja, keine Ahnung, was die gesagt haben.
Versteht man ja kein Wort mehr, wenn die beiden Weibsbilder
durcheinandergackern und kreischen, kaum dass die
Wingate aufgehört hat zu reden. Aber eben ist Lord Mandeville gekommen«,
fügte er hämisch hinzu. »Der Alte kocht vor Wut. Jede Wette, dass der alte
Drachen das Flittchen gleich hochkant rauswirft und es unsanft auf seinem drallen
Hintern landet.«
Benedict
zauderte nicht lange und stürzte sich auf Joseph.
»Raus!«,
schrie Lord
Mandeville. »Kein weiteres Wort. Wie können Sie es wagen, dieses Haus zu
besudeln ...«
»Mandeville,
hast du denn der heutigen Predigt kein Gehör geschenkt?«, fragte seine
Gemahlin. »Wenn ich mich recht erinnere, wurden wir zu Geduld und Vergebung
ermahnt ...«
»Vergib
einem der ihren und sie werden uns um Hab und Gut bringen. Nach unserem Tod
stehlen sie uns noch das Leichentuch aus dem Grab«, schnaubte der alte
Herr. »Das ist doch ein Trick, und ihr leichtgläubigen Narren fallt darauf
herein und glaubt ihr auch noch. Athertons Sohn, dass ich nicht lache!«
»Ich stimme
Ihnen zu, Vater, dass die Geschichte höchst dubios anmutet«, sagte Lord
Northwick in gelangweiltem Ton. Er war ein eleganter Mann um die vierzig,
dessen wache blaue Augen seine blasierte Pose Lügen straften. »Dennoch ziemt es
sich, der Dame Gehör zu schenken.«
»Dame}«,
höhnte sein Vater. »Sie spielt Theater, so wie ihre ganze Sippschaft. Was seid
ihr für leichtgläubige Narren, allesamt.« Er bedachte Gattin,
Schwiegertochter und Enkel mit erbostem Blick. »Alle Welt weiß, dass Atherton
in Schottland ist.« Bathsheba musste sehr an sich halten, dass ihr nicht
der Kragen platzte. »Lord und Lady Atherton sind in Schottland«, sagte sie
ruhig. »Ihr Sohn ist in London geblieben – bei seinem Onkel Lord Rathbourne.
Wie ich bereits erklärt habe ...«
»Oh ja, Sie
haben es ganz reizend erklärt«, fiel ihr Mandeville ins
Wort. »Ein wahres Lügengespinst haben Sie da gesponnen! Schade, dass hier
keiner den Verstand hat, es zu
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