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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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eine Mauer geschwiegen, so wie es oft mit uns ist. Und mit euch, nur daß ihr für gewöhnlich beide schweigt. Doch nun war Niklas für einige Minuten tatsächlich ein Kind. Er lief dem Igel nach, ich glaube, er hatte nie zuvor einen gesehen, und als er ihn eingeholt hatte, rollte sich das kleine Stacheltier zu einer uneinnehmbaren kugelrunden Festung zusammen. Zuerst versuchte Niklas, ihn mit einem Stecken zu öffnen. Aber dann warf er den Stecken weg, hockte sich neben das Tier und betrachtete es. Er sah es einfach nur an. Aber nicht mit diesem sezierenden Blick, der uns so oft trifft, sein Blick war weich, zärtlich fast. Er strich ganz vorsichtig mit den Fingerspitzen über die Stacheln, dann stand er auf und erklärte, der Igel habe sich verirrt, wenn er wieder zu Hause sei, habe er bestimmt keine Angst mehr.»
    «Du willst damit sagen, daß auch in diesem kleinen Eiszapfen eine zarte Seele steckt?»
    «Ach, mein Lieber, auch bei dir muß man manchmal suchen, bis ein Zipfelchen deiner weichen Seele zum Vorschein kommt.» Sie schüttelte lächelnd den Kopf. «Das wollte ich damit auch sagen, aber vor allem etwas anderes. Du denkst, dein Sohn ist wieder zu Hause, und alles ist gut. Aber schlüpfe doch einmal in seine Haut   …»
    «Ich versuche nichts anderes, seit Augusta ihn zurückgebracht hat. Grundgütiger   …» Er ließ sich auf die Chaiselongue fallen und schlug ungeduldig mit der flachen Hand auf das Polster. «Ich habe wohl kein Talent für solche Angelegenheiten.»
    «Vielleicht ist es mehr eine Frage der Geduld?» Anne setzte sich neben ihn und strich leicht über seine unruhige Hand. «Denk an den Igel. Er hat sich nur verirrt. Wenn er wieder zu Hause ist, hat er keine Angst mehr. Niklas ist auch nicht zu Hause. Er war so lange bei Cornelia, du bist ihm fremd geworden, Christian gewiß auch, Sophie ist nicht mehr da. Und auch Maria», fuhr sie nach einer kleinen Pause fort. «Wo er seine Mutter gewohnt war, bin jetzt ich, eine Fremde. Er weiß nicht mehr, wo er hingehört. Augusta ist die einzige von uns, die ihm vertraut ist, weil sie im letzten Jahr so viele Monate in Köln gelebt hat. Nimm ihm nicht Augustas Röcke, wie du es nennst. Er ist ja kein Hasenfuß, er ist nur ein Kind in einer unbekannten Welt. Und deine Schwester», sie hüstelte mit gekrauster Nase, «lebt und denkt auch ein wenig anders als du. Nun denkt und spricht er wie Cornelia. Und findet das Theater unchristlich.» Plötzlich lachte sie. «Es ist doch auch ganz komisch, findest du nicht? Vielleicht sollten wir Agnes’ Cousine recht häufig einladen. Magdalena würde er gewiß gleich lieben.»
    Claes fand das überhaupt nicht komisch. Sein Sohn war ihm unheimlich. Ein fremder kleiner Mensch mit inquisitorischenAugen. Er hatte Cornelias Bitten, Niklas noch ein wenig länger in Köln zu lassen, jedesmal bereitwillig nachgegeben. War es so nicht am praktischsten gewesen? Aber er hatte sein Kind doch immer zurückhaben wollen, irgendwann, wenn es für alle am besten war.
    «Ich werde nicht dulden, daß er uns beleidigt.»
    Anne seufzte. «Nein, natürlich wirst du das nicht dulden. Aber bisher hat er das nicht getan. Er ist bis auf diesen Ausrutscher heute, der, wie ich finde, endlich hoffen läßt, nur so höflich, daß es fast ungezogen ist. Dagegen werden aber väterliche Verbote und Strafpredigten kaum helfen.»
    «Was hilft sonst?»
    «Ich habe keine Ahnung. Ich glaube, wir leben einfach wie immer. Natürlich darf er nicht ungezogen sein, aber vor allem muß er merken, daß er hier willkommen ist, daß hier sein Zuhause ist und daß du ihn als deinen Sohn liebst. Auch wenn du dir gewöhnlich alle Mühe gibst, ihn das nicht merken zu lassen.»
    «Ist es so schlimm?»
    «Meistens.»
    «Ist es denn kein Zeichen väterlicher Liebe, daß er sich heute ein Pferd aussuchen darf?»
    «Das ist es ganz sicher, allerdings weiß er noch nichts von seinem Glück. Und außerdem, als du dir dieses Geschenk als Überraschung einfallen ließest, wolltest du ihn damit vor allem von seinen Büchern fortlocken. Da wußtest du noch nicht mal, daß er für eine unpassende Viertelstunde im Pferdestall einen Krach mit dir riskiert. Nein, nun mach nicht wieder so ein Gesicht, als glaubtest du, er habe es aus reiner Bosheit getan. Er hat über Bellas Fohlen einfach alles andere vergessen. Wie warst du denn als Junge? Wäre es dir nicht genauso gegangen? Freu dichdoch, daß er mit seinen zwölf Jahren nicht nur ein Bücherwurm ist.»
    Als Claes wenig

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