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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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verstecken. Zu dieser Zeit regierte hier schon der Maschinenmeister und scheuchte seine Gehilfen, um alle Maschinerien noch einmal zu überprüfen. Wer hier nichts zu arbeiten hatte, wurde schon auf der Treppe wütend fortgebrüllt.
    Bevor sie die Stufen hinaufstieg, die von der Unterbühne auf den seitlichen Flur am linken Rand hinter den Prospekt führten, warf sie noch einen kurzen Blick in die Windmaschine. Aber das röhrenförmige, faßdicke Gebilde aus Leisten von hartem Holz hatte zu enge Zwischenräume, um ein Buch hindurchzuschieben. Und vorallem: Wie sollte man es aus diesem Käfig wieder herausbekommen? Trotzdem hob Rosina mit spitzen Fingern das Stück feste Leinwand, an dem die Leisten ein schabendes Geräusch erzeugten, wenn die Röhre mit der großen Kurbel gedreht wurde. Je schneller die Drehung, nach einem um so heftigeren Wind klang es.
    Jedes Knarren der Treppe erschien ihr laut wie ein Schuß, sie fror immer noch, aber das lag weniger an der Kälte als an der Unheimlichkeit dieses Ortes, der ihr in seiner Verlassenheit gespenstisch wie eine wirkliche Unterwelt erschien. Die Treppe, dachte sie, unter der Treppe ist es stockdunkel, ein guter Platz für ein Versteck. Wahrscheinlich wohnen da ganze Horden von Mäusen, Spinnen und Asseln. Es kostete sie große Überwindung, die Stufen wieder hinunterzugehen und unter die Treppe zu kriechen, und es machte sie sehr froh, als sie feststellte, daß zwei große Kisten die in der Tat nachtschwarze Ecke unter den Stufen ausfüllten und ihr den Kampf mit dem krabbelnden Kleingetier ersparten. Die Kisten, wahrscheinlich mit Seilen, Leinwand und allerlei Werkzeug des Maschinenmeisters gefüllt, waren fest verschlossen. Als sie die kurze Treppe zum Flur hinter der Bühne und zu den Garderoben hinauflief, erschien ihr das Knarren der Stufen noch lauter. Und hatte es nicht ein Echo? Oder knarrten woanders andere Stufen? War sie doch nicht allein?
    Du bist dumm, schalt sie sich. Und feige. Niemand ist hier, erst recht nicht Lorettas Mörder. Nicht einmal Lukas Blank, der allen Grund dazu hätte. Der sitzt sicher angekettet in der Fronerei.
    Wagner, das wußte sie, war überzeugt von seiner Schuld. Rosina nicht. Wohl glaubte sie, daß er irgendeine Schuld auf sich geladen hatte, sein Verhalten wäre sonst nicht so künstlich gewesen. Aber einen Mord?
    Vor der Garderobe blieb sie stehen und lauschte, es war still. Totenstill, dachte sie und versprach Loretta, wie so oft in den letzten Tagen, ihren Mörder zu finden.
    Sie bemühte sich, keine verräterische Unordnung zu hinterlassen, und so kostete es viel Zeit, all die Kästen und kleinen und großen Körbe in den Garderoben der Frauen und der Tänzerinnen zu durchsuchen. Aber sie fand kein Buch, und sie fand auch nicht Lorettas Beutel, der doch irgendwo sein mußte. Sie hatte Wagner danach gefragt, doch auch er und seine Weddeknechte hatten seltsamerweise nichts gefunden, was Loretta gehörte.
    Rosina war so sicher gewesen, heute das Buch zu finden, und als sie den letzten Korb zuklappte und sich auf der Suche nach irgendeinem vergessenen Behältnis oder möglichen Versteck vergeblich umsah, fühlte sie sich zutiefst mutlos und müde. Sie sehnte sich nach einem warmen, sonnigen Tag, nach Helena und Jean, nach Tagen ohne Kummer und Sorgen, nach Tagen ohne ungelöste Rätsel.
    Doch Jammern und Seufzen hatten noch nie weitergeholfen. Ärgerlich griff sie nach ihrem feuchten Schultertuch, sie mußte das Theater schleunigst verlassen. Es schlug schon zehn von St.   Petri. Oder von St.   Michaelis? Je nachdem wie der Wind stand, war im Theater das Geläut der einen oder der anderen Kirche zu hören.
    Sie hatte es sich so schön vorgestellt, heute mittag, wenn sie sich mit Wagner und den Herrmanns traf, das Buch oder zumindest Lorettas Beutel auf den Tisch zu legen. Und was hatte sie nun von ihrer Eitelkeit? Nichts als einen zerrissenen Rock. Nichts als   … Sie erstarrte. Auf der hinteren Treppe näherten sich Schritte, leise, behutsame Schritte. Wer konnte das sein? Lief nicht jeder, der nichts zu verbergen hatte, diese Treppe mit festem Schritt hinauf und besonders eilig bei so scheußlichem Regen?
    Es war nicht Angst, die Rosina nun handeln ließ, sondern blinde Panik. Der Weg nach draußen war ihr abgeschnitten, und nichts hätte sie in diesem Moment des Schreckens in die Unterbühne, die in der Dunkelheit wie ein Folterkeller erschien, zurückgebracht. So stürzte sie durch die nächste Tür und fand sich in dem

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