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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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kurzen Flur zur Garderobe der Männer im hinteren Anbau wieder. Sie lief auf Strümpfen, ihre durchnäßten Schuhe hatte sie in der Garderobe gelassen, doch ihre Schritte hallten in ihren Ohren.
    Wohin?
    Sie war nie in der Garderobe der Männer gewesen, wo gab es hier ein Versteck? Die Kostüme, natürlich! Hastig drängte sie sich zwischen den üppigen Mantel eines römischen Kaisers und den federbesetzten Umhang irgendeines Gottes aus einem Schäferspiel, ließ ihr Schultertuch über die Füße fallen, damit die weißen Strümpfe sie nicht verrieten, und versteckte den Kopf unter dem weiten, mit Pelz und Goldlitzen beladenen Kragen des Römer-Mantels, hoffend, nein, betend, daß sie nun tatsächlich nicht mehr zu sehen war.
    Einen Moment hatte sie geglaubt, daß die Schritte nur einem Wächter gehörten, der nach dem Einbruch gestern abend die Aufgabe hatte, das Theater zu bewachen, und nun die Türen kontrollierte, aber es war vergebens. Sie konnte nicht hören, wie die Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde, aber leise Schritte näherten sich, verharrten in der Garderobe der Frauen, kehrten auf den Flur zurück und kamen näher, immer näher. Nun wurde die Tür aufgeschoben. Rosina hörte das kleine schabende Geräusch über einer der unebenen Bohlen. Sie atmete nicht. Gleich würde ihr hämmerndes Herz aufhören zu schlagen, gleich   … Da griff eine kalte, feste Hand nach ihrem Nacken, und mit einem gellenden Schrei begann Rosina wild um sich zu schlagen.
     
    «Was soll ich nur tun?» Claes ging mit heftigen Schritten im Salon auf und ab und schlug immer wieder mit der Faust in die flache Hand. «Was soll ich nur tun? Warum ist er so? Er benimmt sich wie ein Fremder. Als würden wir ihn hier gefangenhalten und nur darauf warten, ihm zu schaden. Verdammt, er schadet uns. Seit Niklas wieder zu Hause ist, gibt es nichts als Ärger und Unruhe. Er müßte sich doch freuen, endlich wieder hier zu sein.»
    «Psst!» Anne legte den Finger auf den Mund. «Es wäre nicht gut, wenn er dich jetzt hört.»
    «Nicht gut? Der Lausekerl hat sich nicht einmal entschuldigt. Er ist einfach rausgelaufen. Und jetzt hockt er bei Augusta und heult sich aus. Ich werde mit ihr sprechen. Sie darf nicht zulassen, daß er sich immer hinter ihren Röcken verkriecht, anstatt sich wie ein vernünftiges Familienmitglied zu benehmen. Und wie er spricht! Hast du je einen Jungen getroffen, der so spricht? Wie ein Missionar. Und ewig sitzt er über irgendwelchen Büchern, anstatt mit den anderen Jungen draußen zu sein.»
    Es hatte begonnen, als die ganze Familie Herrmanns vom Kirchgang in das Haus am Neuen Wandrahm zurückkehrte. Eigentlich war gar nicht viel passiert. Im Salon stand ein Frühstück bereit, und erst als Claes von dem gebratenen Schinken und dem gerösteten Weizenbrot auf seinen Teller lud, stellte er fest, daß Niklas fehlte. Niemand wußte, wo er war, und als Blohm, den Claes geschickt hatte, den Jungen zu suchen, endlich mit ihm zurückkam, war die steile Falte über Claes’ Stirn schon eine tiefe Furche. Annes und Augustas Versuche, eine heitere sonntagvormittägliche Plauderei zu beginnen, waren kläglichan seinem dröhnenden Schweigen gescheitert. Christian, der heute mit seinen Gedanken sowieso nicht bei diesem Frühstück war, hatte aus dem Fenster gesehen und von der dicken Stimmung nur wenig bemerkt. Und dann öffnete sich die Tür, und Niklas stand da, ohne Rock, die ehemals sorgfältig polierten Schuhe mit den silbernen Schnallen, die weißen Wadenstrümpfe und die Kniehosen schmutzig wie ein Fleetsucher. Claes starrte seinen Sohn an, und bevor Anne ein versöhnliches Wort sagen konnte, hatte das Donnerwetter schon begonnen.
    «Wo bist du gewesen, Niklas? Wenn die Familie sich zu Tisch setzt, hast auch du dich zu Tisch zu setzen, und wenn du glaubst, daß du einfach deiner Wege gehen kannst und nicht einmal um Erlaubnis dafür bittest, ganz zu schweigen von einer Entschuldigung für dein tölpelhaftes Betragen, hast du dich geirrt. Also! Wo bist du gewesen?»
    Niklas starrte ihn an wie ein Hase den Schweißhund, sein Mund zitterte, aber das sah Claes nicht. Er sah ein Kindergesicht, verschlossen und abwehrend, mit verächtlich herabgezogenen Lippen.
    «Wo du gewesen bist! Und wo du dich am heiligen Sonntag so schmutzig gemacht hast, will ich wissen.»
    «Vater», wagte Christian sich einzumischen, «du siehst ja, er war im Stall.»
    «Das kann ich in der Tat sehen. Und riechen. Aber ich will es von ihm selber

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